Ziele
Achte auf Deine GEDANKEN, denn sie werden WORTE. Achte auf Deine Worte, denn sie werden HANDLUNGEN. Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden GEWOHNHEITEN. Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein CHARAKTER. Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein SCHICKSAL. (Talmud)
Willkommen. Wir
sind eine kleine Agentur aus dem Prenzlauer Berg in Berlin und versuchen seit Anfang der 90-iger Menschen mit gesellschaftlichen Verbesserungsvorschlägen vertraut
zu machen.
Ein Grossteil unserer Interviews für das Filmprojekt "People Have the Power" wurde 1994, also vor genau 20 Jahren aufgenommen. Damals stammten die meisten, umfassendsten und funktionierendsten Alternativen aus der Bewegung für "Soziale Dreigliederung" und der "Sozialen Plastik" nach Joseph Beuys.
"People Have the Power", unser Archiv und einige kleine Folgefilme geben der heutigen Bewegung Geschichte und zeigt neben vielen Vertreterinnen der Dreigliederung auch einige Vorreiterinnen verwandter Ansätze wie z. B. Frau Prof. Margit Kennedy.
Die Dreigliederung hehandelt die Bereiche 1. Bildungswesen, Kultur, Religionen; 2. Staat, Politik, Zwischenmenschlich-Rechtliches und 3. Wirtschaft auf je unterschiedliche Art. Dadurch inspiriert sind Organisationen entstanden deren Vertreter in "People Have the Power" zu Wort kommen, z. B. Waldorfschulen, Heilpädagogik, biologisch-dynamische Landwirtschaft (Demeter), alternative Medizin-, Lebens-, und Geldsysteme (z.B. GLS-Bank) Sie hatten damals schon grossteils bis über 80 Jahre Erfahrung in Nachaltigkeit, Ökologie und Menschenwürde.
Die Dreigliegerungs Bewegung ist sehr vielfältig, über einige Punkte wird regelrecht heiss und kontrovers diskutiert. Uns erscheint es so, als ob in konkreten Bereichen und Lebenszusammenhängen sich je nach Vorbildung und Zielrichtung anderes zeigt und es nicht die eine Wahrheit gibt, sondern dass wir in unserem eigenen Lebenszusammenhang erforschen können, ob es weiterführt, wenn wir die jeweiligen Codes oder Prinzipien eines Bereiches beachten. Angelehnt an das Motto der Französischen Revolution ist das Prinzip der Wirtschaft: Geschwisterlichkeit, das des Rechtsbereichs: Gleichheit und das von Bildungswesen, Kultur und Religion: Freiheit.
Aus der Dreigliederung kam dieser Leitsatz zu uns: ALLE GESELLSCHAFTLICHEN PROBLEME KÖNNEN NUR VON DEN JEWEILS BETEILIGTEN UND BETROFFENEN SELBST GELÖST WERDEN - nicht "von außen" oder "von oben". Die Motivation dazu, den einzelnen Menschen und seine je individuelle Beteiligung an den drei Bereichen als Ausgangspunkt für die Gesellschaft zu setzen, ist dabei nicht, den Staat aus seiner Verantwortung zu entlassen oder den Standort konkurrenzfähig für die Wirtschaft zu machen. Es geht vielmehr darum, die Frustration und die Reibungsverluste zu vermeiden, die durch die Machtkämpfe und Übergriffe in die je anderen beiden Bereiche entsteht, z.B. durch die globalisierte Weltwirtschaft. Wir wagen die These, dass es die jeweils beteiligten und betroffenen Menschen selbst können. Bürgerbeteiligung kann ihren Höhepunkt nicht in einem "Analphabeten-Kreuzchen" alle 4 Jahre haben. Entscheidend ist die Betroffenheit, die Identifikation mit dem Problem, die konkreten Kenntnisse der Beteiligten und Betroffenen - auch der potentielle Kunden - dass diese Praktiker alle zusammen arbeiten. Runde Tische, Foren und Assoziationen können Werkzeuge hierfür sein, und auf verschiedenen Ebenen in den Bereichen 1. Wirtschaft, 2. Recht, Politik, Staat und 3. Kultur, Bildung, Religion, Gesundheitswesen stattfinden, neben oder auch innerhalb der bestehenden demokratischen Strukturen.
Die Projekte, die durch die Aufmerksamkeit auf diese Prinzipien entstanden sind hatten die Fähigkeit, innerhalb des alten Systems Neues möglich zu machen. Obwohl es theoretische Differenzen gab, arbeiteten sie meist assoziativ zusammen. Einer der Hauptknackpunkte ist die Frage, ob das Geldwesen im Wirtschafts- oder im Rechtsbereich angesiedelt ist. Wir entschieden uns damals dafür das Geld im Rechtskapitel zu behandeln (die eher "linke" Sicht). Bei einer ansonsten unveränderten Neuauflage des Films werden wir auf einer Texttafel erwähnen, das einige sehr renomierte und einflussreiche VertreterInnen der Dreigliederung, gut begründet, das Geld lieber im Wirtschaftsbereich behandelt sehen würden.
Eine weitere schwierige Frage unter den Dreigliederern ist die, ob es ein bürgeroffenes dreifach-demokratisches Parlaments- oder Rätesystem gebe solle, - oder ob es eher um eine Sichtweise gehe und das Soziale so organisch und beweglich ist, dass es unmöglich sei "drei Kuchenstücke" rauszuschneiden, - oder ob sowieso schon alles dreigliedrig ist, nur unbewusst und verworren, so das alles nur "auf eigene Beine gestellt, befreit" werden brauche.
Der Film hat leider nicht die volle Unterstützung der Dreigliederungsbewegung, des Neuen Forums und der Fernsehsender gefunden, wurde aber auf Tagungen und privat vorgeführt. Im eigentlichen Sinne ist er nie wirklich herausgekommen, hat aber doch subtil gewirkt. Es war ja die Zeit vor youtube - als das Medium Film vielen Dreigliederern und Alternativen sehr verdächtig erschien. Damals, als alle Alternativen systematisch unterdrückt wurden oder in die Ecke der Radikalen und Linken gesteckt wurden. Gleichzeitig wurde aber die Dreigliederungs Bewegung ihrerseits von vielen Linken und einigen Grünen ebenfalls angefeindet, was auch wir zu spüren bekamen und worauf wir mit dem Film "Überwindung des Nationalismus" reagierten. Später entstanden noch einige Neben- und Folgeprojekte mit überwiegend internationalem und interkulturellen Schwerpunkten, z.B. PureVision, Erdfrequenz, die Beschäftigung mit alternativen Energien, Bienen und die Mitgründung der Schöck-Familien-Stiftung. Um all unseren unfertigen Projekten, wie Samen, mehr Raum und gute Bedingungen zu geben, haben wir zu Beginn 2014 fruitywood.org anfangen.
Weitere Infos über die soziale Struktur der Neuzeit: "Soziale Dreigliederung" oder "Dreigliederung des sozialen Organismus" entsprechend: 1. Wirtschaft, 2. Recht (Politik, Staat, Zwischenmenschliches), 3. Kultur (Bildung, Geistesleben):Institut für Soziale Dreigliederung von Sylvain Coiplet (Dipl. Politologe): www.dreigliederung.deInstitut für soziale Gegenwartsfragen, Dr. Christof Strawe: www.sozialimpulse.de
zum Drehbuch 53 Min. Pilotfilm "People Have the Power...": "People Have the Power - Über Selbstverwaltung in Kultur, Recht, Wirtschaft"Interview mit Leo van der Burg, alternativer Unternehmensberater, NL: Interview mit Leo van der Burgh23 Experten-Quell-Interviews von 1992, v.a. 1994 der Filme + weitere: http://www.dreigliederung.de/essays/-----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------
Engagement für den Berliner Mauerpark
MONTAGS-FRIEDENS-FEUER jew. 19.00 Berliner Mauerpark, Gleimstr. 60 (Sommer und Herbst 2012) Bürger-Willensfindung gegen wiederholten Verkauf+Bebauung von Teilen der Parkflächen - brennendes Hauptproblem. Vielleicht findet sich auch eine Kerngruppe gegen Gentrifizierung weltweit, aber zunächst Berlin, das am eigenen Ast sägt: London kopiert das TACHELES - und Berlin reisst das Original ab! Der Spiegel schreibt schon am 16.7.2010:
"Der Immobilienmarkt macht dem Mythos Berlin Mitte den Garaus. ..."(Quelle: www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/gentrifizierung-in-berlin-mitte-arm-und-sexy-teuer-und-oede-a-706506.html ) MENSCHENRECHTE WERDEN GRUNDGESETZE / VERFASSUNG - VERFASSUNG(SSCHUTZ) SCHÜTZT MENSCHENRECHTE / BÜRGERINITIATIVEN ? Nachdem bei einem Treffen von Freunden des Mauerparks zu einem "Kriegsrat gegen die illegale Übernahme und Bebauung des Mauerparks" bei einem Friedensfeuer an einem öffentlichen Grillplatz in diesem Mauerpark eingeladen wurde, da wurde dieser Grillplatz gesperrt - sofort nach der Einladung Samstag Nacht oder Sonntags (24.6.2012) bis zum Treffen um 17 Uhr ... Nur 1 Polizei-Kombi kam pünktlich, in direkter Sichtlinie mit der Feuerstelle... Peinlich und beängstigend ist dann zu sehen, wie unser DIN-A4-Aushang mit "The Future we Want" in den folgenden 24 Stunden verunstaltet wurde: Kaum sichtbar angeschnitten und dann von Hand mit Gewalt weiter angerissen, so dass das Papier raushängt, nass wird und der Aushang möglichst schlecht aussieht. Heimlich, über Nacht einberufenene Abstimmungs-Treffen der Politiker (BVV durch SPD) - haben wir einen neuen Wertewandel in der Politik - zurück in die Vergangenheit? Haben manche Verfassungsschützer noch nicht erkannt, dass gerade die Bürgerinitiativen unsere demokratische Verfassung verwirklichen? Demokratie bedeutet Volksherrschaft und die Beamten sind die Angestellten des Volkes und sollten es beschützen, nicht hintenrum maltretieren! Agentur für Alternativen, S. Berlin, 27.6.2012 (Überschrift vom 16.8.) ----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- AUFRUF: AN DAS DEUTSCHE VOLK UND AN DIE KULTURWELT! April 1919 (1. Weltkrieg gerade beendet...) Sicher gefügt für unbegrenzte Zeiten glaubte das deutsche Volk seinen vor einem halben Jahrhundert aufgeführten Reichsbau. Im August 1914 meinte es, die kriegerische Katastrophe, an deren Beginn es sich gestellt sah, werde diesen Bau als unbesieglich erweisen. Heute kann es nur auf dessen Trümmer blicken. Selbstbesinnung muß nach solchem Erlebnis eintreten. Denn dieses Erlebnis hat die Meinung eines halben Jahrhunderts, hat insbesondere die herrschenden Gedanken der Kriegsjahre als einen tragisch wirkenden Irrtum erwiesen. Wo liegen die Gründe dieses verhängnisvollen Irrtums? Diese Frage muß Selbstbesinnung in die Seelen der Glieder des deutschen Volkes treiben. Ob jetzt die Kraft zu solcher Selbstbesinnung vorhanden ist, davon hängt die Lebensmöglichkeit des deutschen Volkes ab. Dessen Zukunft hängt davon ab, ob es sich die Frage in ernster Weise zu stellen vermag: wie bin ich in meinen Irrtum verfallen? Stellt es sich diese Frage heute, dann wird ihm die Erkenntnis aufleuchten, daß es vor einem halben Jahrhundert ein Reich gegründet, jedoch unterlassen hat, diesem Reich eine aus dem Wesensinhalt der deutschen Volkheit entspringende Aufgabe zu stellen. - Das Reich war gegründet. In den ersten Zeiten seines Bestandes war man bemüht, seine inneren Lebensmöglichkeiten nach den Anforderungen, die sich durch alte Traditionen und neue Bedürfnisse von Jahr zu Jahr zeigten, in Ordnung zu bringen. Später ging man dazu über, die in materiellen Kräften begründete äußere Machtstellung zu festigen und zu vergrößern. Damit verband man Maßnahmen in bezug auf die von der neuen Zeit geborenen sozialen Anforderungen, die zwar manchem Rechnung trugen, was der Tag als Notwendigkeit erwies, denen aber doch ein großes Ziel fehlte, wie es sich hätte ergeben sollen aus einer Erkenntnis der Entwickelungskräfte, denen die neuere Menschheit sich zuwenden muß. So war das Reich in den Weltzusammenhang hineingestellt ohne wesenhafte, seinen Bestand rechtfertigende Zielsetzung. Der Verlauf der Kriegskatastrophe hat dieses in trauriger Weise geoffenbart. Bis zum Ausbruche derselben hatte die außerdeutsche Welt in dem Verhalten des Reiches nichts sehen können, was ihr die Meinung hätte erwecken können: die Verwalter dieses Reiches erfüllen eine weltgeschichtliche Sendung, die nicht hinweggefegt werden darf. Das Nichtfinden einer solchen Sendung durch diese Verwalter hat notwendig die Meinung in der außerdeutschen Welt erzeugt, die für den wirklich Einsichtigen der tiefere Grund des deutschen Niederbruches ist. Unermeßlich vieles hängt nun für das deutsche Volk an seiner unbefangenen Beurteilung dieser Sachlage. Im Unglück müßte die Einsicht auftauchen, welche sich in den letzten fünfzig Jahren nicht hat zeigen wollen. An die Stelle des kleinen Denkens über die allernächsten Forderungen der Gegenwart müßte jetzt ein großer Zug der Lebensanschauung treten, welcher die Entwickelungskräfte der neueren Menschheit mit starken Gedanken zu erkennen strebt, und der mit mutigem Wollen sich ihnen widmet. Aufhören müßte der kleinliche Drang, der alle diejenigen als unpraktische Idealisten unschädlich macht, die ihren Blick auf diese Entwickelungskräfte richten. Aufhören müßte die Anmaßung und der Hochmut derer, die sich als Praktiker dünken, und die doch durch ihren als Praxis maskierten engen Sinn das Unglück herbeigeführt haben. Berücksichtigt müßte werden, was die als Idealisten verschrieenen, aber in Wahrheit wirklichen Praktiker über die Entwickelungsbedürfnisse der neuen Zeit zu sagen haben. Die « Praktiker » aller Richtungen sahen zwar das Heraufkommen ganz neuer Menschheitsforderungen seit langer Zeit. Aber sie wollten diesen Forderungen innerhalb des Rahmens altüberlieferter Denkgewohnheiten und Einrichtungen gerecht werden. Das Wirtschaftsleben der neueren Zeit hat die Forderungen hervorgebracht. Ihre Befriedigung auf dem Wege privater Initiative schien unmöglich. Überleitung des privaten Arbeitens in gesellschaftliches drängte sich der einen Menschenklasse auf einzelnen Gebieten als notwendig auf; und sie wurde verwirklicht da, wo es dieser Menschenklasse nach ihrer Lebensanschauung als ersprießlich erschien. Radikale Überführung aller Einzelarbeit in gesellschaftliche wurde das Ziel einer anderen Klasse, die durch die Entwickelung des neuen Wirtschaftslebens an der Erhaltung der überkommenen Privatziele kein Interesse hat. Allen Bestrebungen, die bisher in Anbetracht der neueren Menschheitsforderungen hervorgetreten sind, liegt ein Gemeinsames zugrunde. Sie drängen nach Vergesellschaftung des Privaten und rechnen dabei auf die Übernahme des letzteren durch die Gemeinschaften (Staat, Kommune), die aus Voraussetzungen stammen, welche nichts mit den neuen Forderungen zu tun haben. Oder auch, man rechnet mit neueren Gemeinschaften (zum Beispiel Genossenschaften), die nicht voll im Sinne dieser neuen Forderungen entstanden sind, sondern die aus überlieferten Denkgewohnheiten heraus den alten Formen nachgebildet sind. Die Wahrheit ist, daß keine im Sinne dieser alten Denkgewohnheiten gebildete Gemeinschaft aufnehmen kann, was man von ihr aufgenommen wissen will. Die Kräfte der Zeit drängen nach der Erkenntnis einer sozialen Struktur der Menschheit, die ganz anderes ins Auge faßt, als was heute gemeiniglich ins Auge gefaßt wird. Die sozialen Gemeinschaften haben sich bisher zum größten Teil aus den sozialen Instinkten der Menschheit gebildet. Ihre Kräfte mit vollem Bewußtsein zu durchdringen, wird Aufgabe der Zeit. Der soziale Organismus ist gegliedert wie der natürliche. Und wie der natürliche Organismus das Denken durch den Kopf und nicht durch die Lunge besorgen muß, so ist dem sozialen Organismus die Gliederung in Systeme notwendig, von denen keines die Aufgabe des anderen übernehmen kann, jedes aber unter Wahrung seiner Selbständigkeit mit den anderen zusammenwirken muß. Das wirtschaftliche Leben kann nur gedeihen, wenn es als selbständiges Glied des sozialen Organismus nach seinen eigenen Kräften und Gesetzen sich ausbildet, und wenn es nicht dadurch Verwirrung in sein Gefüge bringt, daß es sich von einem anderen Gliede des sozialen Organismus, dem politisch wirksamen, aufsaugen läßt. Dieses politisch wirksame Glied muß vielmehr in voller Selbständigkeit neben dem wirtschaftlichen bestehen, wie im natürlichen Organismus das Atmungssystem neben dem Kopfsystem. Ihr heilsames Zusammenwirken kann nicht dadurch erreicht werden, daß beide Glieder von einem einzigen Gesetzgebungs- und Verwaltungsorgan aus versorgt werden, sondern daß jedes seine eigene Gesetzgebung und Verwaltung hat, die lebendig zusammenwirken. Denn das politische System muß die Wirtschaft vernichten, wenn es sie übernehmen will; und das wirtschaftliche System verliert seine Lebenskräfte, wenn es politisch werden will. Zu diesen beiden Gliedern des sozialen Organismus muß in voller Selbständigkeit und aus seinen eigenen Lebensmöglichkeiten heraus gebildet ein drittes treten: das der geistigen Produktion, zu dem auch der geistige Anteil der beiden anderen Gebiete gehört, der ihnen von dem mit eigener gesetzmäßiger Regelung und Verwaltung ausgestatteten dritten Gliede überliefert werden muß, der aber nicht von ihnen verwaltet und anders beeinflußt werden kann, als die nebeneinander bestehenden Gliedorganismen eines natürlichen Gesamtorganismus sich gegenseitig beeinflussen. Man kann schon heute das hier über die Notwendigkeiten des sozialen Organismus Gesagte in allen Einzelheiten vollwissenschaftlich begründen und ausbauen. In diesen Ausführungen können nur die Richtlinien hingestellt werden, für alle diejenigen, welche diesen Notwendigkeiten nachgehen wollen. Die deutsche Reichsgründung fiel in eine Zeit, in der diese Notwendigkeiten an die neuere Menschheit herantreten. Seine Verwaltung hat nicht verstanden, dem Reich eine Aufgabe zu stellen durch den Blick auf diese Notwendigkeiten. Dieser Blick hätte ihm nicht nur das rechte innere Gefüge gegeben; er hätte seiner äußeren Politik auch eine berechtigte Richtung verliehen. Mit einer solchen Politik hätte das deutsche Volk mit den außerdeutschen Völkern zusammenleben können. Nun müßte aus dem Unglück die Einsicht reifen. Man müßte den Willen zum möglichen sozialen Organismus entwickeln. Nicht ein Deutschland, das nicht mehr da ist, müßte der Außenwelt gegenübertreten, sondern ein geistiges, politisches und wirtschaftliches System in ihren Vertretern müßten als selbständige Delegationen mit denen verhandeln wollen, von denen das Deutschland niedergeworfen worden ist, das sich durch die Verwirrung der drei Systeme zu einem unmöglichen sozialen Gebilde gemacht hat. Man hört im Geiste die Praktiker, welche über die Kompliziertheit des hier Gesagten sich ergehen, die unbequem finden, über das Zusammenwirken dreier Körperschaften auch nur zu denken, weil sie nichts von den wirklichen Forderungen des Lebens wissen mögen, sondern alles nach den bequemen Forderungen ihres Denkens gestalten wollen. Ihnen muß klar werden: entweder man wird sich bequemen, mit seinem Denken den Anforderungen der Wirklichkeit sich zu fügen, oder man wird vom Unglücke nichts gelernt haben, sondern das herbeigeführte durch weiter entstehendes ins Unbegrenzte vermehren. Rudolf Steiner Original-Scan: http://www.dreigliederung.de/download/1919-04-001.pdf------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- 1. Nov. 1935: ANTHROPOSOPHISCHE GESELLSCHAFT AUFGELÖST [2] ↑ Preußische Geheime Staatspolizei Berlin, 1. November 1935, StAM LR 17 134354, BAD Z/B 1 904, BAK R 43 II/822, zitiert nach Walter Kugler, Feindbild Steiner, 2001, S. 11f. s. http://de.wikipedia.org/wiki/Anthroposophische_Gesellschaft"Im Nationalsozialismus wurde am 1. November 1935 die AAG (Allgemeine Anthroposophische Gesellschaft) in Deutschland wegen „internationaler Einstellung und engen Beziehungen zu ausländischen Freimaurern, Juden und Pazifisten“ verboten. Die Begründung lautete: „Nach der geschichtlichen Entwicklung der Anthroposophischen Gesellschaft ist diese international eingestellt und unterhält auch heute noch enge Beziehungen zu ausländischen Freimaurern, Juden und Pazifisten. Die auf der Pädagogik des Gründers Steiner aufgebauten und in den heute noch bestehenden anthroposophischen Schulen angewandten Unterrichtsmethoden verfolgen eine individualistische, nach dem Einzelmenschen ausgerichtete Erziehung, die nichts mit den nationalsozialistischen Erziehungsgrundsätzen gemein hat. Infolge der Gegensätze zwischen den Anschauungen der Anthroposophischen Gesellschaft und den vom Nationalsozialismus vertretenen völkischen Gedanken bestand die Gefahr, dass durch eine weitere Tätigkeit der Anthroposophischen Gesellschaft die Belange des nationalsozialistischen Staates geschädigt werden. Die Organisation ist daher wegen ihres staatsfeindlichen und staatsgefährdenden Charakters aufzulösen.“ – Reinhard Heydrich[2]
"Rudolf Steiner - Philosoph, Künstler, Sozialreformer (1861-1925)"siehe http://www.dreigliederung.de/steiner/ ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- RUDOLF STEINER
DIE MEMORANDEN VOM JULI 1917
(aus: Aufsätze zur Dreigliederung des Sozialen Organismus, Dornach 1996) Erstes Memorandum
Die Wortführer der Entente führen unter den Gründen, warum sie den Krieg fortsetzen müssen,
den an, daß sie von Deutschland überfallen worden sind. Sie behaupten daher, sie müssen
Deutschland in eine solche Lage der Machtlosigkeit bringen, daß fortan ihm jede Möglichkeit
genommen sei, einen Überfall auszuführen. In diese Form einer Art moralischer Anklage gegen
Deutschland werden nebulos untergetaucht alle anderen Ursachen dieses Krieges.
Es ist zweifellos, daß gegenüber dieser Anklage Deutschland in die Notwendigkeit versetzt ist, in
ganz ungeschminkter Weise darzustellen, wie es in den Krieg hineingetrieben worden ist. Statt
dessen hat man von den Kriegsursachen bisher nur doktrinäre Auseinandersetzungen, die so
anmuten wie die Schlußfolgerungen eines Professors, der nicht erzählt, was er gesehen hat,
sondern der aus Dokumenten darlegt, was sich ihm über ferne Ereignisse ergeben hat. Denn so
sind auch alle Ausführungen des deutschen Reichskanzlers über die Vorgänge bei
Kriegsausbruch gehalten. Solche Darlegungen aber sind ungeeignet, einen Eindruck zu machen.
Man weist sie einfach zurück, indem man ihnen Unberechtigtes oder auch berechtigtes Anderes
entgegensetzt.
Würde man dagegen einfach die Tatsachen erzählen, so würde sich folgendes ergeben:
1. Deutschland war im Sommer 1914 nicht bereit, die Initiative zu einem Kriege zu ergreifen.
329
2. Österreich-Ungarn war seit langem in die Notwendigkeit versetzt, irgend etwas zu
unternehmen, das der ihm drohenden Gefahr entgegenwirkt, durch Zusammenschluß der
Südslaven unter der Führung der außerösterreichischen Serben von Südosten her verkleinert zu
werden. Man kann ruhig zugeben, daß die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinand und die
ganze Ultimatumsgeschichte nur ein Anlaß war. Wäre nicht dieser Anlaß ergriffen worden, so
hätte bei nächster Gelegenheit eben ein anderer ergriffen werden müssen. Österreich hätte eben
nicht Österreich bleiben können, wenn es nicht irgend etwas zur Sicherung seiner
Südostprovinzen tat, oder durch eine großzügige andere Handlung die Slavenfrage zur Lösung
bringen konnte. An dieser anderen Handlung hatte sich aber die österreichische Politik seit 1879
verblutet. Besser gesagt: sie hatte sich daran verblutet, daß diese andere Handlung nicht
aufgefunden werden konnte. Man konnte eben der Slavenfrage nicht Herr werden. Soweit für die
Entstehung des Krieges Osterreich-Ungarn in Betracht kommt, und damit auch Deutschland,
dessen Beteiligung erfolgte, weil es Österreich-Ungarn nicht im Stiche lassen konnte, ohne
befürchten zu müssen, daß es nach einigen Jahren ohne Österreichs Bundesgenossenschaft der
Entente gegenüberstehe -, soweit muß erkannt werden, daß die Slavenfrage den Grund enthält
für die Entstehung dieses Krieges. Die «andere Handlung» ist also die internationale Lösung der
Slavenfrage. Sie ist gefordert von Österreich, nicht von Rußland. Denn Rußland wird immer
seinen slavischen Grundcharakter in die Waagschale der Lösung werfen können.
Österreich-Ungarn kann diesem Gewichte nur das der Befreiung der Westslaven entgegenstellen.
Diese Befreiung kann nur unter dem Gesichtspunkte
330
der Autonomisierung aller Zweige des Volkslebens vor sich gehen, welche das nationale Dasein
und alles, was damit zusammenhängt, betreffen. Man darf eben nicht zurückschrecken vor der
völligen Freiheit im Sinne der Autonomisierung und Föderalisierung des Volkslebens. Diese
Föderalisierung ist vorgebildet im deutschen bundesstaatlichen Leben, das gewissermaßen das
von der Geschichte vorgebildete Modell ist für dasjenige, was in Mitteleuropa fortgebildet werden
muß bis zur völligen föderalistisch-freiheitlichen Gestaltung aller derjenigen Lebensverhältnisse,
die ihren Impuls in dem Menschen selber haben, also nicht unmittelbar, wie die
militärisch-politischen, von den geographischen, und, wie die wirtschaftlichen, von den
geographisch-opportunistischen Verhältnissen abhängig sind. Die Gestaltung dieser Verhältnisse
wird nur dann in gesunder Weise erfolgen, wenn das Nationale aus der Freiheit, nicht die Freiheit
aus dem Nationalen entbunden wird. Strebt man statt des letzteren das erstere an, so stellt man
sich auf den Boden des weltgeschichtlichen Werdens. Will man das letztere, so arbeitet man
diesem Werden entgegen
und legt den Grund zu neuen Konflikten und Kriegen.
Von den leitenden Staatsmännern Osterreichs verlangen, daß sie deshalb das Ultimatum an
Serbien hätten unterlassen sollen, hieße von ihnen verlangen, daß sie gegen das Interesse des
von ihnen geleiteten Landes hätten handeln sollen. Ein solches Verlangen können Theoretiker
irgendeiner Färbung stellen. Ein Mensch, der mit den vorhandenen Tatsachen rechnet, sollte im
Ernste von dergleichen gar nicht sprechen. Denn hätten die Südslaven erreicht, was die
führenden Großserben wollten, so wäre unter den Aktionen der übrigen österreichischen Slaven
Österreich in
33I
der Form, in der es bestand, nicht zu erhalten gewesen. Man könnte sich noch vorstellen, daß
eben dann Osterreich eine andere Form bekommen hätte. Kann man aber einem leitenden
österreichischen Staatsmanne zumuten, resigniert auf einen solchen Ausgang zu warten? Man
könnte es offenbar nur, wenn man der Ansicht wäre, es gehöre zu den unbedingten
Anforderungen eines österreichischen Staatsmannes, absoluter Pazifist zu sein und das Schicksal
des Reiches fatalisch abzuwarten. Unter jeder anderen Bedingung muß man den Schritt
Osterreichs bezüglich des Ultimatums verstehen.
3. Hatte nun einmal Österreich das Ultimatum gestellt, dann war die weitere Folge der Ereignisse
nur aufzuhalten, wenn Rußland sich passiv verhielt. Sobald Rußland einen aggressiven Schritt tat,
war durch nichts das Weitere aufzuhalten.
4. Ebenso wahr, wie dies alles ist, ebenso wahr ist, daß jeder, der mit den Tatsachen rechnete, in
Deutschland ein unbestimmtes Gefühl hatte: Wenn einmal die angedeuteten Verwicklungen in ein
kritisches Stadium treten, dann werde es Krieg geben. Man werde diesem Kriege nicht entgehen
können. Und verantwortliche Personen hatten die Meinung, man müsse, wenn er notwendig
werde, diesen Krieg mit aller Kraft führen. Einen Krieg aus eigener Initiative heraus zu führen,
hatte in Deutschland gewiß niemand die Absicht, der ernstlich in Betracht kommt. Man kann der
Entente beweisen, daß sie nicht den geringsten Grund hatte, an einen Angriffskrieg von seiten
Deutschlands zu glauben. Man kann sie zwingen zuzugeben, daß sie den Glauben hatte,
Deutschland werde ohne Krieg so mächtig, daß diese Macht den heute in der Entente vereinigten
Mächten 332 gefährlich werde. Aber man wird die Führung derartiger politischer Beweise ganz
anders machen müssen, als dies bisher geschehen ist; denn dieses ist keine politische Beweis-
führung, sondern nur die Aufstellung politischer Behauptungen, bei denen es den anderen
belieben kann, sie brutal zu finden. Man glaubte auf seiten der Ententemächte, wenn die Dinge so
fortgehen, dann könne man nicht wissen, was noch alles aus Deutschland werde; deshalb müsse
ein Krieg mit Deutschland kommen. Deutschland konnte sich auf den Standpunkt stellen: wir
brauchen keinen Krieg; aber wir erlangen ohne Krieg dasjenige, was uns die Ententestaaten ohne
Krieg nicht lassen werden; deshalb müssen wir uns für diesen Krieg bereithalten und ihn, wenn er
droht, so nehmen, daß wir durch ihn nicht zu Schaden kommen können. Dies alles gilt auch
bezüglich der serbischen Frage und Osterreichs. Mit Serbien konnte Österreich im Jahre 1914
nicht mehr ohne Krieg fertig werden, wenigstens mußte das die Überzeugung seiner
Staatsmänner sein. Hätte aber die Entente befunden, daß man Österreich-Ungarn allein mit
Serbien fertig werden lassen könnte, dann hätte es zu dem allgemeinen Kriege nicht kommen
müssen. Der wahre Kriegsgrund darf also nicht bei den Mittelmächten gesucht werden, sondern
darin, daß die Entente diese Mittelmächte nicht so lassen wollte, wie sie nach dem Bestande von
1914 in ihren Machtverhältnissen waren. Wäre allerdings die oben gemeinte «andere Handlung»
vor 1914 geschehen, dann hätten die Serben keine internationale Opposition gegen
Österreich-Ungarn entwickelt, und sowohl das Ultimatum wie die Einmischung Rußlands hätte es
nicht geben können. Und hätte sich Rußland aus reinen Eroberungsgründen gegen Mitteleuropa
in irgendeinem Zeitpunkte 333 gewendet, dann hätte es England nicht an seiner Seite finden
können. Da das Unterseeboot bis zum Kriege ein reines Kriegsmittel war, Amerika aber ohne
dieses Kriegsmittel absolut nicht in den Krieg mit den europäischen Mittelmächten hätte kommen
können, so braucht für die Friedensfrage nur England in dem angedeuteten Sinn in Rechnung
gezogen zu werden.
5. Was nun der Welt mitgeteilt werden müßte, ist:
a) daß Deutschland, soweit die Persönlichkeiten in Betracht kommen, die über den
Kriegsausbruch zu bestimmen hatten, vollständig von den Ereignissen im Juli 1914 überrascht
worden ist, daß diese niemand vorausgesehen hat. Insbesondere gilt dies von der Haltung
Rußlands;
b) daß in Deutschland der verantwortlich Denkende nicht anders konnte, als annehmen, wenn
Rußland angreife, werde dies auch Frankreich tun;
c) daß Deutschland für diesen Fall jahrelang seinen Zweifrontenkrieg vorbereitet hatte und nicht
anders konnte, als bei den sich überstürzenden Ereignissen diesen ins Werk zu setzen, wenn es
nicht von seiten der Westmächte eine sichere Garantie erhielt, daß Frankreich nicht angreife.
Diese Garantie konnte nur von England kommen;
d) daß, wenn England diese Garantie gegeben hätte, Deutschland nur gegen Rußland zum Kriege
geschritten wäre;
e) daß die deutsche Diplomatie geglaubt habe, infolge des Verhältnisses, das sie in den letzten
Jahren zu England angeknüpft hatte, werde England im Sinne einer solchen Garantie wirken;
f) daß die deutsche Diplomatie sich in bezug auf die bevorstehende Politik Englands vollständig
getäuscht hat, 334 und daß unter dem Eindrucke dieser Täuschung der Durchmarsch durch
Belgien ins Werk gesetzt worden ist, den man unterlassen hätte, wenn England die angedeutete
Garantie gegeben hätte. In ganz unzweideutiger Weise müßte der Welt verkündigt werden, daß
der Einmarsch in Belgien erst ins Werk gesetzt worden ist, als die deutsche Diplomatie von der
Mitteilung des Königs von England überrascht worden war, daß sie sich täusche, wenn sie auf
eine solche Garantie von Englands Seite warte. Es ist unerfindlich, warum die deutsche Regierung
nicht tut, was sie unzweideutig könnte: nämlich beweisen, daß sie den Einmarsch in Belgien nicht
unternommen hätte, wenn das entscheidende Telegramm des Königs von England anders
gelautet hätte. Von dieser entscheidenden Wendung hing wirklich der ganze weitere Verfolg des
Krieges ab, und es ist von Deutschland nichts geschehen, um diese entscheidende Tatsache zur
allgemeinen Kenntnis der Welt zu bringen. Man müßte, wenn man diese Tatsache richtig kennte,
zwar sagen, die englische Politik ist an den entscheidenden Stellen in Deutschland falsch beurteilt
worden, aber man könnte nicht verkennen, daß England der entscheidende Faktor in der
belgischen Frage war. Eine Schwierigkeit böte eine solche Sprache Deutschlands allerdings
gegenüber Rußland, weil dieses aus ihr ersehen würde, was es für diesen Krieg England
verdankt. Diese Schwierigkeit könnte nur behoben werden, wenn es gelänge, Rußland zu zeigen,
daß es von Englands Freundschaft weniger zu erwarten hat als von der Deutschlands. Dies kann
natürlich nicht geschehen, ohne daß Deutschland es im jetzigen Augenblick unternimmt, im Verein
mit Österreich-Ungarn eine großzügige Politik zu entfalten, durch die das ohne Kenntnis der 335
europäischen Verhältnisse in die Welt gesetzte Programm Wilsons aus dem Feld geschlagen
wird.
Es kann praktisch aussehen, zu sagen, es habe heute keinen Wert, über die Ursachen des
Krieges zu sprechen. Es ist aber gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen das Unpraktischeste,
was sich nur denken läßt. Denn tatsächlich führt die Entente mit ihrer Darstellung der
Kriegsursachen seit langem den Krieg. Die Situation, die sie sich geschaffen hat, verdankt sie
dem Umstande, daß ihr ihre Darstellung geglaubt wird aus dem Grunde, weil ihr von Deutschland
etwas Wirksames noch nicht erwidert worden ist. Während Deutschland zeigen könnte, daß es
zum Kriegsausbruche nichts beigetragen hat, daß es in den Neutralitätsbruch gegenüber Belgien
nur durch das Verhalten Englands getrieben worden ist, sind die offiziellen Darlegungen Deutsch-
lands bis heute so gehalten, daß kein außerhalb Deutschlands lebender Mensch daran gehindert
wird, sich das Urteil zu bilden, es habe in Deutschlands Hand gelegen, den Krieg nicht zu
beginnen. Damit ist es nicht getan, daß man die Dokumente so zusammenstellt, wie es
geschehen ist. Denn diese Zusammenstellung ergibt eben etwas, was von jedem angezweifelt
werden kann, während die ungeschminkte Darstellung der Tatsachen in der Tat Deutschlands Un-
schuld ergeben müßte. Wer für solche Dinge Verständnis hat, der kann wissen, daß solche
Reden, wie sie von den verantwortlichen Männern Deutschlands geführt werden, von den
Psychen der Menschen in den feindlichen Ländern und auch in den neutralen überhaupt nicht
verstanden und daher nur als Verschleierungen der Wahrheit genommen werden. Sagen, es hülfe
nichts, anders zu sprechen gegenüber dem Hasse der Feinde, dazu hätte man nur ein Recht,
wenn 336 man auch nur den Versuch gemacht hätte, wirklich anders zu sprechen. Man sollte
diesen Haß überhaupt nicht ins Feld führen, weil dies einfach naiv ist; denn dieser Haß ist nur
Draperie des Krieges, ist nur die Ausschleimung derjenigen, die die unsäglich traurigen Ereignisse
mit ihren Reden begleiten wollen oder müssen, oder derjenigen, welche in der Aufstachelung
dieses Hasses ein wirksames Mittel suchen, dies oder jenes zu erreichen. Der Krieg wird aus den
hinlänglich bekannten Ursachen von Seiten Frankreichs und Rußlands geführt. Und er wird von
der Seite Englands lediglich als Wirtschaftskrieg geführt; aber als Wirtschaftskrieg, der ein
Ergebnis ist von alledem, was in England sich seit langem vorbereitet hat. Gegenüber den
Realitäten der englischen Politik von der Einkreisung durch König Eduard und ähnlichen
Kleinigkeiten zu sprechen ist so, wie wenn man einen Knaben von einem Pflocke weglaufen sieht,
der nachher umfällt, und dann sagt, der Knabe habe den Pflock zu Fall gebracht, weil er an ihm
etwas gerüttelt habe, während in der Tat der Pflock längst so beschädigt war, daß es von seiten
des Knaben nur eines geringen Anstoßes bedurfte, um den Fall schließlich herbeizuführen. Die
Wahrheit ist, daß England seit vielen Jahren es verstanden hat, eine aus den realen Verhältnissen
Europas heraus orientierte Politik zu treiben in einem Sinn, der ihm günstig schien, der wie eine im
naturwissenschaftlichen Charakter gehaltene Ausnützung der vorhandenen Völker- und Staa-
tenkräfte war. Nirgends außer in England trug die Politik einen ganz sachgemäßen, in sich
zusammenhängenden Charakter. Man nehme die auf dem Balkan treibenden Volkskräfte, man
nehme hinzu, was in Österreich spielte, und man schaue von dem aus auf das, was in
eingeweihten 337 Kreisen vorhandene politische Formeln in England waren. Diese Formeln
enthielten immer: Auf dem Balkan wird dies und jenes geschehen; England hat dabei dies zu tun.
Und die Ereignisse bewegten sich in der angegebenen Richtung, und die englische Politik
bewegte sich damit parallel. Man konnte in England in solche Formeln eingegliedert Sätze finden
wie diesen: Das russische Reich wird in seiner gegenwärtigen Form zugrunde gehen, damit das
russische Volk leben könne. Und dieses Volk ist so geartet in seinen Verhältnissen, daß man dort
werde sozialistische Experimente ausführen können, für die es in Westeuropa keine Möglichkeit
gibt. Wer die Politik Englands verfolgt, der kann sehen, daß sie stets im großen Stil darauf
eingerichtet war, alle solche und viele andere Gesichtspunkte zugunsten Englands zu wenden.
Und dabei kam ihm zugute, daß es in Europa allein von solchen Gesichtspunkten ausging und
eben dadurch seine diplomatischen Vorsprünge sich ermöglichte. Seine Politik arbeitete stets im
Sinne dessen, was im Sinne der wirklichen Volks- und Staatskräfte war, und sein Bestreben dabei
war, im Sinne dessen sich diese Kräfte dienstbar zu machen, was in seinem wirtschaftlichen
Vorteil war. Es arbeitete zu seinem Vorteil. Das tun andere selbstverständlich auch. Aber England
arbeitete außerdem in der Richtung dessen, was sich durch die in ihm selbst liegenden Kräfte
verwirklichen läßt, während andere auf die Beobachtung solcher Kräfte sich nicht einließen, ja
wohl überhaupt nur ein vornehmes Lächeln gehabt hätten, wenn man ihnen von solchen Kräften
gesprochen hätte. Englands ganze Staatsstruktur ist auf solches wirklich praktisches Arbeiten
eingestellt. Andere werden erst dann eine der englischen gewachsene Staatskunst entfalten
können, wenn das 338 Angedeutete kein englisches Geheimnis mehr sein wird, sondern wenn es
Gemeingut sein wird. Man denke nur, wie unendlich naiv es war, wenn man glaubte, von
Deutschland aus mit dem Bagdadbahnproblem durchzudringen, da man von da aus dieses
Problem so unternahm, als ob es überhaupt nur nötig wäre, an etwas zu gehen, wie an den Bau
einer Straße, über deren Anlegung man sich mit seinen Nachbarn verständigt hat. Oder, um von
etwas noch viel weiter Liegendem zu sprechen, wie dachte sich Osterreich, sein Verhältnis zum
Balkan zu ordnen, ohne Kräfte dabei ins Feld zu führen, die, aus den Volks- und Staatskräften des
Balkan heraus gedacht, die Trümpfe Englands paralysieren konnten? England tat eben in einem
gegebenen Zeitpunkte nicht stur das und jenes, sondern es lenkte international die Kräfte so, daß
sie im rechten Momente in seiner Richtung liefen.
Um das zu tun, muß man diese Kräfte erstens kennen und zweitens bei sich das entfalten, was im
Sinne dieser Kräfte gelegen ist. Osterreich-Ungarn also hätte zur rechten Zeit eine Handlung
vollbringen müssen, die im Sinne der Südslavenkräfte diese in die österreichische Richtung
gebracht, Deutschland hätte im Sinne der wirtschaftlich-opportunistischen Kräfte die
Bagdadbahninteressen in seine Richtung bringen müssen, statt daß das erstere in die russische
und damit in die russisch-englische Linie, das zweite in die englische Linie abgebogen ist.
Der Krieg muß in Mitteleuropa dazu führen, in bezug auf das im Völker-, Staats- und
Wirtschaftsleben Vorhandene sehend zu werden. Dadurch allein kann man England zwingen,
nicht weiter auf dem Wege einer überlegenen Diplomatie zu den anderen Staaten sich zu
verhalten, sondern mit sich wie gleich zu gleich verhandeln zu lassen über 339 dasjenige, was
zwischen europäischen Menschengemeinschaften zu verhandeln ist. Ohne die Erfüllung dieser
Bedingung ist alles Nachmachen des englischen Parlamentarismus in Mitteleuropa nichts anderes
als ein Mittel, sich selbst Sand in die Augen zu streuen. In England werden sonst ein paar Leute
immer Mittel und Wege finden, ihre Wirklichkeitspolitik durch ihr Parlament ausführen zu lassen,
während doch ein deutsches und österreichisches Handeln nicht schon allein dadurch ein
gescheites werden wird, daß es statt von ein paar Staatsmännern von einer Versammlung von
etwa 500 Abgeordneten beschlossen wird. Man kann sich kaum etwas Unglücklicheres denken
als den Aberglauben, daß es einen Zauber bewirken werde, wenn man zu dem übrigen, was man
sich hat von England gefallen lassen, nun auch noch das fügt, daß man sich die demokratische
Schablone von ihm aufdrängen läßt. Damit soll nicht gesagt werden, daß Mitteleuropa nicht im
Sinne einer inneren politischen Gestaltung eine Fortentwickelung erfahren solle, allein eine solche
darf nicht die Nachahmung des westeuropäischen sogenannten Demokratismus sein, sondern sie
muß gerade dasjenige bringen, was dieser Demokratismus in Mitteleuropa wegen dessen
besonderer Verhältnisse verhindern würde. Dieser sogenannte Demokratismus ist nämlich nur
dazu geeignet, die Menschen Mitteleuropas zu einem Teile der englisch-amerikanischen
Weltherrschaft zu machen, und würde man sich dazu auch noch auf die sogenannte zwi-
schenstaatliche Organisation der gegenwärtigen Internationalisten einlassen, dann hätte man die
schöne Aussicht, als Mitteleuropäer innerhalb dieser zwischenstaatlichen Organisation stets
überstimmt zu werden.
Worauf es ankommt ist, aus dem mitteleuropäischen 340 Leben heraus die Impulse zu zeigen, die
hier wirklich liegen, und an denen die westlichen Gegner, wenn sie aufgezeigt werden, sehen
werden, daß sie sich bei einer weiteren Fortsetzung des Krieges an ihnen verbluten müssen.
Gegen Machtprätentionen können die Gegner ihre Macht setzen und werden es tun, solange es
bei Prätentionen bleibt. Gegen wirkliche Machtkräfte werden sie die Waffen strecken. 340 Wilsons
so wirksamen Manifestationen muß entgegengehalten werden, was in Mitteleuropa wirklich zur
Befreiung des Lebens der Völker getan werden kann, während seine Worte ihnen nichts zu geben
vermögen als die anglo-amerikanische Weltherrschaft. Die Übereinstimmung mit Rußland braucht
von einem mitteleuropäischen Programm der Wirklichkeit nicht gesucht zu werden; denn diese
ergibt sich selbst. Ein solches mitteleuropäisches Programm darf nichts enthalten, was nur innere
Staatsangelegenheit ist, sondern lediglich solches, was mit dem Verhältnis nach außen etwas zu
tun hat. Aber selbstverständlich muß in dieser Richtung sachgemäß gesehen werden; denn ob ein
Mensch gut denken kann, ist gewiß eine Angelegenheit seiner inneren Organisation, ob er aber
durch dieses gute Denken nach außen in der oder jener Richtung wirkt, ist nicht eine innere
Angelegenheit.
Deshalb kann nur ein mitteleuropäisches Programm das Wilsonische schlagen, das real ist, das
heißt nicht das oder jenes Wünschenswerte betont, sondern das einfach eine Umschreibung
dessen ist, was Mitteleuropa tun kann, weil es zu diesem Tun die Kräfte in sich hat. Dazu gehört:
1. Daß man einsehe: Gegenstand einer demokratischen Volksvertretung können nur die rein
politischen, die militärischen und die polizeilichen Angelegenheiten sein. Diese 341 sind nur
möglich auf Grund des historisch gebildeten Untergrundes. Werden sie vertreten für sich in einer
Volksvertretung und verwaltet von einer dieser Volksvertretung verantwortlichen Beamtenschaft,
so entwickeln sie sich notwendig konservativ. Ein äußerer Beweis dafür ist, daß seit dem
Kriegsausbruche selbst die Sozialdemokratie in diesen Dingen konservativ geworden ist. Und sie
wird es noch mehr werden, je mehr sie gezwungen wird, sinn- und sachgemäß dadurch zu
denken, daß in den Volksvertretungen wirklich nur politische, militärische und polizeiliche An-
gelegenheiten der Gegenstand sein können. Innerhalb einer solchen Einrichtung kann sich auch
der deutsche Individualismus entfalten mit seinem bundesstaatlichen System, das nicht eine
zufällige Sache ist, sondern das im deutschen Volkscharakter enthalten ist.
2. Alle wirtschaftlichen Angelegenheiten werden geordnet in einem besonderen
Wirtschaftsparlamente. Wenn dieses entlastet ist von allem Politischen und Militärischen, so wird
es seine Angelegenheiten rein so entfalten, wie es diesen einzig und allein angemessen ist,
nämlich opportunistisch. Die Verwaltungsbeamtenschaft dieser wirtschaftlichen Angelegenheiten,
innerhalb deren Gebiet auch die gesamte Zollgesetzgebung liegt, ist unmittelbar nur dem
Wirtschaftsparlamente verantwortlich.
3. Alle juristischen, pädagogischen und geistigen Angelegenheiten werden in die Freiheit der
Personen gegeben. Auf diesem Gebiete hat der Staat nur das Polizeirecht, nicht die Initiative. Es
ist, was hier gemeint ist, nur scheinbar radikal. In Wirklichkeit kann sich nur derjenige an dem hier
gemeinten stoßen, der den Tatsachen nicht unbefangen ins Auge sehen will. Der Staat überläßt
es den sach-, berufs- 342 und völkermäßigen Korporationen, ihre Gerichte, ihre Schulen, ihre
Kirchen und so weiter zu errichten, und er überläßt es dem einzelnen, sich seine Schule, seine
Kirche, seinen Richter zu bestimmen. Natürlich nicht etwa von Fall zu Fall, sondern auf eine
gewisse Zeit. Im Anfange wird dies wohl durch die territorialen Grenzen beschränkt werden
müssen, doch trägt es die Möglichkeit in sich, auf friedlichem Wege die nationalen Gegensätze -
auch andere - auszugleichen. Es trägt sogar die Möglichkeit in sich, etwas Wirkliches zu schaffen
an Stelle des schattenhaften Staaten-Schiedsgerichts. Nationalen oder anderweitigen Agitatoren
werden dadurch ihre Kräfte ganz genommen. Kein Italiener in Triest fände Anhänger in dieser
Stadt, wenn jedermann seine nationalen Kräfte in ihr entfalten könnte, trotzdem aus
selbstverständlichen opportunistischen Gründen seine wirtschaftlichen Interessen in Wien
geordnet werden, und trotzdem sein Gendarm von Wien aus bezahlt wird.
Die politischen Gebilde Europas könnten sich so auf Grundlage eines gesunden Konservativismus
entwickeln, der nie auf Zerstückelung Österreichs, sondern höchstens auf seine Ausdehnung
bedacht sein kann.
Die wirtschaftlichen Gebilde würden sich opportunistisch gesund entwickeln; denn niemand kann
Triest in einem Wirtschaftsgebilde haben wollen, in dem es wirtschaftlich zugrunde gehen muß,
wenn ihn das Wirtschaftsgebilde nicht hindert, kirchlich, national und so weiter zu tun, was er will.
Die Kulturangelegenheiten werden von dem Drucke befreit, den auf sie die wirtschaftlichen und
politischen Dinge ausüben, und sie hören auf, auf diese einen Druck auszuüben. Alle diese
Kulturangelegenheiten werden fortdauernd in gesunder Bewegung erhalten. 343
Eine Art Senat, gewählt aus den drei Körperschaften, welchen die Ordnung der
politisch-militärischen, wirtschaftlichen und juristisch-pädagogischen Angelegenheiten obliegt,
versieht die gemeinsamen Angelegenheiten, wozu auch zum Beispiel die gemeinsamen Finanzen
gehören.
Die Ausführbarkeit des in dieser Darstellung Angeführten wird niemand bezweifeln, der aus den
wirklichen Verhältnissen Mitteleuropas heraus denkt. Denn hier wird überhaupt nichts gefordert,
was durchgeführt werden soll, sondern es wird nur aufgezeigt, was sich durchführen will, und was
in demselben Augenblicke gelingt, in dem man ihm freie Bahn gibt.
Erkennt man dieses, dann wird vor allem klar, warum wir diesen Krieg haben und warum er unter
der falschen Flagge der Völkerbefreiung ein Krieg ist zur Unterdrückung des deutschen Volkes, im
weiteren Sinne zur Unterdrückung alles selbständigen Volkslebens in Mitteleuropa. Entkleidet man
das Wilsonsche Programm, das als die neueste Umschreibung aus den Deckprogrammen der
Entente hervorgegangen ist, so kommt man darauf, daß seine Ausführung nichts anderes
bedeuten würde als den Untergang dieser mitteleuropäischen Freiheit. Daran hindert nicht, daß
Wilson von der Freiheit der Völker redet; denn die Welt richtet sich nicht nach Worten, sondern
nach Tatsachen, die aus der Verwirklichung dieser Worte folgen. Mitteleuropa braucht wirkliche
Freiheit, Wilson aber redet gar nicht von einer wirklichen Freiheit. Die ganze westliche Welt hat
von dieser wirklichen für Mitteleuropa nötigen Freiheit überhaupt keinen Begriff. Man redet da von
Völkerfreiheit und meint dabei nicht die wirkliche Freiheit der Menschen, sondern 344 eine
schimärische Kollektivfreiheit von Menschenzusammenhängen, wie sie sich in den
westeuropäischen Staaten und in Amerika herausgebildet haben. Nach den besonderen
Verhältnissen Mitteleuropas kann sich diese Kollektivfreiheit nicht aus internationalen
Verhältnissen heraus ergeben, also darf sie nie und nimmer Gegenstand einer internationalen
Abmachung sein, wie sie einem Friedensschlusse zugrunde liegen kann. In Mitteleuropa muß die
Kollektivfreiheit der Völker aus der allgemeinen menschlichen Freiheit sich ergeben, und sie wird
sich ergeben, wenn man durch Ablösung aller nicht zum rein politischen, militärischen und
wirtschaftlichen Leben gehörigen Lebenskreise dafür freie Bahn schaff. Es ist ganz
selbstverständlich, daß gegen solche Loslösung diejenigen, welche stets nur mit ihren Ideen, nicht
mit der Wirklichkeit rechnen, solche Einwände erheben, wie man sie in einem eben erschienenen
Buche findet, nämlich in Kriecks «Die deutsche Staatsidee» auf Seite 167 f.: «Gelegentlich wurde
früher, unter anderen von E. von Hartmann, die Forderung nach einem Wirtschaftsparlamente
neben der Volksvertretung erhoben. Der Gedanke liegt ganz in der Richtung der wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Entwickelung. Abgesehen aber davon, daß ein neues großes Rad die
ohnehin reichliche Unbeholfenheit und Reibung der Maschine vermehren würde, wäre die
Zuständigkeit zweier Parlamente unmöglich gegeneinander abzugrenzen.»
Bei diesem Gedanken sollte nun doch wohl darauf gesehen werden, daß hier zugegeben werden
muß, er ergibt sich aus den wirklichen Verhältnissen der Entwickelung, muß also durchgeführt
werden und darf nicht gegen die Entwickelung abgewiesen werden, weil man seine Verwirklichung
schwer findet. Macht man nämlich in der 345 Wirklichkeit vor solchen Schwierigkeiten halt, so
schafft man Verwickelungen, die sich später gewaltsam entladen. Und letzten Endes ist dieser
Krieg in der Eigentümlichkeit, in der er sich auslebt, die Entladung von Schwierigkeiten, die man
versäumt hat, auf dem richtigen, anderen Wege hinwegzuräumen, solange es dazu noch Zeit war.
Das Wilsonsche Programm geht davon aus, das in der Welt unmöglich zu machen, was die
berechtigte Aufgabe und die Lebensbedingung der mitteleuropäischen Staaten ist. Ihm muß
entgegengehalten werden, was in Mitteleuropa geschehen wird, wenn dieses Geschehen nicht
gestört wird durch die gewaltsame Zerstörung des mitteleuropäischen Lebens. Es muß ihm
gezeigt werden, was nur Mitteleuropa auf Grund des hier historisch Gewordenen tun kann, wenn
es sich nicht mit der Entente verbindet, die gar kein Interesse daran haben kann, Mitteleuropa
seiner naturgemäßen Entwickelung entgegenzuführen.
So wie die Dinge heute liegen, haben Deutschland und Österreich nur die Wahl zwischen den
folgenden drei Dingen:
1. Unter allen Umständen auf einen Sieg ihrer Waffen zu warten, und von ihm die Möglichkeit zu
erhoffen, ihre mitteleuropäische Aufgabe ausführen zu können.
2. Mit der Entente auf Grund deren jetzigen Programms einen Frieden einzugehen und damit ihrer
sicheren Zerstörung entgegenzugehen.
3. Zu sagen, was sie im Sinne der wirklichen Verhältnisse als das Ergebnis eines Friedens
betrachten werden, und damit die Welt vor die Möglichkeit zu stellen, nach klarer Einsicht in die
Verhältnisse und in das Wollen Mitteleuropas die Völker wählen zu lassen zwischen einem
Tatsachenprogramm 346, das den europäischen Menschen die wirkliche Freiheit und damit ganz
selbstverständlich die Freiheit der Völker bringt, oder den Scheinprogrammen des Westens und
Amerikas, die von Freiheit reden, in Wirklichkeit aber für ganz Europa die Unmöglichkeit des
Lebens bringen. Wir in Mitteleuropa machen vorläufig den Eindruck, als ob wir uns vor dem
Westen scheuten zu sagen, was wir wollen müssen, während dieser Westen uns nur so über-
schüttet mit den Kundgebungen seines Wollens. Dadurch ruft dieser Westen den Eindruck hervor,
daß nur er etwas will für das Heil der Menschheit, und wir nur bestrebt seien, diese löblichen
Bestrebungen durch allerlei solche Dinge wie Militarismus zu stören, während er dadurch, daß er
sich seit langem darauf eingerichtet hat und weiter darauf noch besser einrichten will, uns zu
Schattenmenschen zu machen, in Wahrheit der Schöpfer unseres Militarismus ist. Gewiß sind
solche und ähnliche Dinge oft gesagt worden, doch darauf kommt es nicht an, daß sie von dem
oder jenem gesagt werden, sondern darauf, daß sie das Leitmotiv mitteleuropäischen Handelns
wirklich werden, und die Welt erkennen lernt, daß sie von Mitteleuropa kein anderes Handeln zu
erwarten hat als ein solches, das zum Schwerte greifen muß, wenn die anderen ihm dieses
Schwert in die Hände zwingen. Was jetzt die Westvölker deutschen Militarismus nennen, haben
sie in Jahrhunderte langer Entwickelung geschmiedet, und nur an ihnen, nicht an Deutschland
kann es sein, ihm für Mitteleuropa seinen Sinn zu nehmen. An Mitteleuropa aber ist es, sein
Wollen für die Freiheit klar hinzustellen, ein Wollen, das nicht in Wilsonscher Art auf Programme
gebaut sein kann, sondern auf die Wirklichkeit des Menschendaseins. 347
Es gibt daher für Mitteleuropa nur ein Friedensprogramm, und das ist: Die Welt wissen zu lassen,
ein Friede ist sofort möglich, wenn die Entente an die Stelle ihres jetzigen, unwahren
Friedensprogramms ein solches setzt, das wahr ist, weil es in seiner Verwirklichung nicht den
Untergang, sondern die Lebensmöglichkeit Mitteleuropas herbeiführt. Alle anderen Fragen, die
Gegenstand von Friedensbestrebungen werden können, lösen sich, wenn sie auf Grundlage
dieser Voraussetzungen in Angriff genommen werden. Auf der Grundlage, die jetzt von der
Entente uns dargeboten wird, und die von Wilson aufgenommen worden ist, ist ein Friede
unmöglich. Tritt kein anderes an die Stelle, so könnte das deutsche Volk nur durch Gewalt zur
Annahme dieses Programmes gebracht werden, und der weitere Verlauf der europäischen
Geschichte würde die Richtigkeit des hier Gesagten beweisen, denn bei Verwirklichung des
Wilsonschen Programmes gehen die europäischen Völker zugrunde. Man muß eben in
Mitteleuropa ohne Illusion dem ins Auge schauen, was diejenigen Persönlichkeiten seit vielen
Jahren als ihren Glauben haben, den sie von ihrem Gesichtspunkte aus als das Gesetz der
Weltentwickelung betrachten: daß der angloamerikanischen Rasse die Zukunft der
Weltentwickelung gehört, und daß sie das Erbe der lateinisch-romanischen Rasse und die
Erziehung des Russentumes zu übernehmen hat. Bei der Anführung dieser weltpolitischen Formel
durch einen sich eingeweiht dünkenden Engländer oder Amerikaner wird stets bemerklich
gemacht, daß das deutsche Element bei der Ordnung der Welt nicht mitzusprechen hat wegen
seiner Unbedeutendheit in weltpolitischen Dingen, daß das romanische Element nicht
berücksichtigt zu werden braucht, weil 348 es ohnedies im Aussterben ist, und daß das russische
Element derjenige hat, der sich zu seinem welthistorischen Erzieher macht. Man könnte von
einem solchen Glaubensbekenntnis gering denken, wenn es im Kopfe einiger für politische
Phantasien oder Utopien zugänglicher Menschen lebte, allein die englische Politik benützt
unzählige Wege, um dieses Programm praktisch zum Inhalte seiner wirklichen Weltpolitik zu
machen, und vom Gesichtspunkte Englands aus könnte die gegenwärtige Koalition, in der es sich
befindet, nicht günstiger sein, als sie ist, wenn es sich um die Verwirklichung dieses Programmes
handelt. Es gibt aber nichts, das Mitteleuropa dem entgegensetzen kann, als ein wirklich
menschenbefreiendes Programm, das in jedem Augenblick Tat werden kann, wenn menschlicher
Wille sich für seine Verwirklichung einsetzt. Man kann ja vielleicht denken, daß der Friede auch
lange auf sich warten lassen wird, auch wenn das hier gemeinte Programm vor die europäischen
Völker hingestellt wird, da es ja während des Krieges nicht ausgeführt werden kann und überdies
von den Ententevölkern so hingestellt werden würde, als ob es von den Führern Mitteleuropas nur
zur Täuschung der Völker hingestellt wäre, während nach dem Kriege einfach wieder das
eintreten würde, was die Ententeführer als das Schreckliche hinstellen, das sie aus moralischen
Gründen in einem «Kampfe für Freiheit und Recht der Völker aus der Welt schaffen müßten».
Aber wer die Welt richtig beurteilt nach den Tatsachen, nicht nach seinen Lieblingsmeinungen, der
kann wissen, daß alles, was Wirklichkeiten entspricht, einen ganz anderen Überzeugungswert hat
als dasjenige, was aus der bloßen Willkür stammt. Und man kann ruhig abwarten, was sich bei
denjenigen zeigen wird, die einsehen 349 werden, mit dem Programme Mitteleuropas gehen den
Völkern der Entente nur die Möglichkeiten verloren, Mitteleuropa zu zertrümmern, nicht aber fließt
aus ihm irgend etwas, was mit irgendeinem wirklichen Lebensimpuls der Ententevölker
unverträglich wäre. Solange man sich im Gebiete der maskierten Bestrebungen befindet, wird eine
Verständigung ausgeschlossen sein; sobald man hinter den Masken die Wirklichkeiten nicht nur
militärisch, sondern auch politisch zeigen wird, wird eine ganz andere Gestalt der gegenwärtigen
Ereignisse beginnen. Die Waffen Mitteleuropas hat die Welt zum Heile dieses Mitteleuropa
kennen gelernt, das politische Wollen ist, soweit Mitteleuropa in Betracht kommt, der Welt ein
Buch mit sieben Siegeln. Dafür bekommt die Welt jeden Tag die Schilderung eines Schreckbildes,
welch ein furchtbares, zerstörungswürdiges Ding dieses Mitteleuropa eigentlich ist. Und es sieht
für die Welt so aus, als ob Mitteleuropa zu diesem Schreckbilde nur zu schweigen hätte, was
selbstverständlich der Welt wie ein Ja-Sagen zu demselben erscheinen muß.
Es ist ganz selbstverständlich, daß jedem unzählige Bedenken aufsteigen, wenn er sich
Gedanken darüber machen will, wie das hier Angedeutete im einzelnen durchgeführt werden soll,
allein solche Bedenken kämen nur in Betracht, wenn das Vorliegende als ein Programm gedacht
wäre, an dessen Verwirklichung ein einzelner oder eine Gesellschaft gehen sollte. So ist es aber
nicht gedacht, ja es widerlegte sich selber, wenn es so gedacht wäre.
Es ist als der Ausdruck dessen gedacht, was die Völker Mitteleuropas tun werden, wenn man sich
von seifen der Regierungen die Aufgabe stellen wird, die Volkskräfte zu erkennen und zu
entbinden. Was im einzelnen geschehen 350 wird, das zeigt sich bei solchen Dingen immer dann,
wenn sie sich auf den Weg der Verwirklichung begeben. Denn sie sind nicht Vorschriften über
etwas, was zu geschehen hat, sondern Voraussagen dessen, was geschehen wird, wenn man die
Dinge auf ihre durch die eigene Wirklichkeit geforderte Bahn gehen läßt. Und diese eigene
Wirklichkeit Schreibt vor, bezüglich aller religiösen und geistig-kulturellen Angelegenheiten, wozu
auch das Nationale gehört, Verwaltung durch Korporationen, zu denen sich die einzelne Person
aus freiem Willen bekennt, und die in ihrem Parlamente als Korporationen verwaltet werden, so
daß dieses Parlament es nur mit der betreffenden Korporation, die aber mit der Beziehung dieser
Korporation zu der einzelnen Person zu tun hat. Und nie darf es eine Korporation mit einer unter
demselben Gesichtspunkte zu einer anderen Korporation gehörigen Person zu tun haben. Solche
Korporationen werden aufgenommen in den Kreis des Parlamentes, wenn sie eine bestimmte
Anzahl von Personen vereinigen. Bis dahin bleiben sie Privatsache, in die sich keine Behörde
oder Vertretung zu mischen hat. Für wen es ein saurer Apfel ist, daß von solchen
Gesichtspunkten aus alle geistigen Kulturangelegenheiten künftig der Privilegierung entbehren
müssen, der wird eben in diesen sauren Apfel zum Heile des Volksdaseins beißen müssen. Bei
der immer weitergehenden Gewöhnung an diese Privilegierung wird man ja in vielen Kreisen
schwer einsehen, daß man auf dem Wege von der Privilegierung gerade der geistigen Berufe zum
guten alten, uralten Prinzipe der freien Korporierung zurückkehren muß. Und daß die Korporation
zwar einen Menschen in seinem Berufe tüchtig machen soll, daß man aber die Ausübung dieses
Berufes nicht privilegieren, 351 sondern der freien Konkurrenz und der freien menschlichen Wahl
überlassen muß. Das wird von allen denen schwer einzusehen sein, die gern davon sprechen,
daß die Menschen doch zu dem oder jenem nicht reif seien. In der Wirklichkeit wird dieser
Einwand ja ohnedies nicht in Betracht kommen, weil mit Ausnahme der notwendig freien Berufe
über die Wahl der Petenten die Korporation entscheiden wird. Ebensowenig können sich
Schwierigkeiten ergeben bezüglich des Politischen und des Wirtschaftlichen, die nicht real
behebbar wären bei Verwirklichung des Intendierten. Wie zum Beispiel pädagogische Institutionen
zustande kommen müssen, die in ihren Richtlinien die beiden, nicht die eigentliche Pädagogik in
sich schließenden Vertretungen berühren, das ist Sache des übergeordneten Senates.
Zweites Memorandum (letzte Fassung)
«Kein Volk darf gezwungen werden, unter einer anderen Herrschaft zu leben, der es widerstrebt.
Besitzwechsel und Rückkehr in früher gültige Hoheitsverhältnisse ist nur in den Ländern zu
gestatten, wo das Volk selbst zur Sicherung seiner Freiheit, seines Behagens und Zukunftsglücks
Wechsel und Rückkehr verlangt . . . Die befreiten Völker der ganzen Erde müssen sich in
aufrichtigem Gemeinschaftsempfinden . . . zu einem festen Bunde verknüpfen, der mit den
geeinten Kräften aller den Frieden und die Gerechtigkeit im Völkerverkehr zu schirmen vermag.
Brüderlichkeit darf nicht länger ein leeres Wort sein, muß ein allgemein anerkannter Begriff
werden, der auf dem Felsen der Wirklichkeit ruht.»
(352)
So umschreibt Herr W. Wilson, was durch die Teilnahme Amerikas an diesem Kriege Wirklichkeit
werden soll. Bestechende Worte sind es, denen gegenüber man sagen kann, daß sich jeder
vernünftige Mensch mit gesundem Empfinden zu ihnen bekennen müsse. Schriebe sie ein
schriftstellernder Menschenfreund zur Erbauung eines Leserkreises nieder, man könnte bei der
Anerkennung ihrer Selbstverständlichkeit stehen bleiben. Man könnte auch mit der Geste des
Moralisten versichern, daß der kein Freund des Fortschrittes und der Freiheit sein könne, der
etwas dagegen einwenden will. Man kann sogar heute schon Stimmen vernehmen, die betonen,
daß dieser Krieg doch die Lehre gebracht habe: Nur derjenige treibe gegenwärtig höhere,
zeitgemäße Politik, der sich zu einem solchen oder einem ähnlichen Ideale bekenne und sein
Handeln danach einrichte.
Reden über «Anschauungen» und davon, daß diese oder jene Anschauung vertreten werden
müsse, weil man an sie glaubt, führt niemals zu einer Grundlage für das praktische Handeln. Dazu
taugt allein, die Wirklichkeit scharf ins Auge zu fassen. Für den Angehörigen der
mitteleuropäischen Staaten kann keine Auseinandersetzung über die «allgemein-menschliche»
Berechtigung der Ententeziele, gewissermaßen eine solche über ihre «Schönheit» von Wert sein,
sondern allein die Erkenntnis von ihrem wirklichen Kräfteverhältnis im Völkerleben. Deshalb wird
im folgenden die für Europa wirkliche Gestalt der Ententeziele ins Auge gefaßt ohne Rücksicht
darauf, daß das, was hier gesagt wird, den Ententeführern nicht angenehm klingen kann. Nur
durch ein so orientiertes Denken kann man zu praktischen Impulsen kommen. Die Dinge werden
etwas scharf formuliert werden, weil sie dieses aus den angegebenen Gründen müssen. (353)
Ausdrücklich bemerkt soll werden, daß vorhandene Stimmungen bei dieser Formulierung keine
Rolle spielen sollen, sondern allein die nüchterne Beobachtung der Tatsachen in den letzten
Jahrzehnten. Was die Entente will, einzusehen, muß Grundlage sein für die in Mitteleuropa zu
findenden Richtlinien; sich blenden lassen durch das, was sie sagt, führt auf die schlimmsten
Abwege.
Es ist jedenfalls eine undankbare Aufgabe, gezwungen zu sein, sich gegen Vorstellungen wenden
zu müssen, welche in hohem Grade die Vernunft und das Herz der Menschen für sich zu haben
scheinen. Die noch dazu das Ergebnis der «wahren geschichtlichen Entwickelung der Menschheit
zur edelsten Demokratie» zu sein scheinen. Und dennoch muß das folgende auf der Grundlage
erbaut sein, daß das Bekenntnis zu Wilsons Wollen nicht nur den Angehörigen der mittel- und
osteuropäischen Völker ein logisches Laster sein muß, sondern auch, daß innerhalb dieses
Krieges und nach demselben jede einzelne Handlung und Maßnahme so geschehen müssen, daß
dieses Wilsonsche und Entente-Wollen an der Gesundheit und Fruchtbarkeit dieser Maßnahmen
und Handlungen sich brechen muß.
In den Ausdruck, den Herr Wilson seinem Wollen gegeben hat, sind die nach Verdunklung ihrer
wahren Gestalt strebenden Kriegsziele der Entente auf fragwürdige Art hineingeheimnist. Man hat
es mit den letzteren zugleich zu tun, wenn man sich mit den ersteren zu schaffen macht. Auf eine
noch so geistreiche begriffliche Widerlegung des Wilsonschen «Programmes» darf es in dieser
Zeit nicht ankommen. Man hat es gegenwärtig nicht mit Auseinandersetzungen zu tun, die
entscheiden sollen, wer recht oder unrecht hat. Auf dem Felde, um das es sich hier handelt, (354)
hat nur Wert, was geschieht oder was den Keim für das Geschehen in sich trägt. Und Gedanken,
die in Mitteleuropa als Keime für das Handeln von heute und morgen gedacht und gesprochen
werden, haben nur Wert, wenn sie in diesem Sinne gehalten sind.
Wilsons Worte sind nicht von einem schriftstellernden Menschenfreund gesprochen. Sie sind die
Fahne der Taten, zu denen sich die Amerikaner waffnen, und welche die Entente seit drei Jahren
gegen Mitteleuropa vollbringt. Die Tatsachen stehen so, daß Mitteleuropa gegen das zu kämpfen
hat, das hinter dieser Fahne behauptet, zum Heile der Menschheit, zur Befreiung der Völker zu
Felde zu ziehen. Die Entente und Wilson sagen, wofür sie zu kämpfen vorgeben. Ihre Worte
haben Werbekraft. Ihre Werbekraft wird immer bedenklicher. Es gibt Menschen in Mitteleuropa,
die gewiß nicht eingestehen wollen, daß sie Wilson nachsprechen, deren Ideen aber dessen
Worten nicht unähnlich klingen.
Wer den Ursprung dieses Krieges in einem tieferen Sinne kennt, der kann nicht anders, als die
Notwendigkeit betonen, daß das Entente-Wilson-Programm durch Mitteleuropa die schärfste
Zurückweisung durch Tatsachen erfährt. Denn das real Aussichtsvolle dieses Programmes -
neben seinem moralisch Blendenden - liegt darin, daß es die Instinkte der mittel- und
osteuropäischen Völker dazu benützen will, diese Völker durch moralisch-politische
Überrumpelung in wirtschaftliche Abhängigkeit von dem Anglo-Amerikanismus zu bringen. Die
geistige Abhängigkeit würde dann nur die notwendige reale Folge sein. Wer weiß, daß man in
englischen eingeweihten Kreisen seit dem vorigen Jahrhundert von dem «kommenden
Weltkriege» (355) sprach als von dem Ereignis, das der anglo-amerikanischen Rasse die
Weltherrschaft bringen müsse, der kann keinen besonderen Wert darauf legen, daß die Führer der
Ententevölker sagen, sie seien von diesem Kriege überrascht worden oder sie haben ihn
verhindern wollen, selbst wenn diese Versicherungen bei denen, die sie augenblicklich
aussprechen, subjektive Wahrheit haben sollten. Denn diejenigen, welche von dem «kommenden
Weltkrieg» als einem unabwendbaren Ereignisse sprachen, rechneten mit den wirklichen
historisch-völkischen Kräften Europas. Sie rechneten mit den Instinkten der europäischen,
namentlich der slawischen Völker. Und sie wollten die Ideale dieser slawischen Völker so lenken
und so benützen, daß sie dem Völkeregoismus des Anglo-Amerikanertums dienstbar seien. Sie
rechneten ferner mit dem Untergange des Romanentums, auf dessen Trümmern sie sich selbst
ausbreiten wollen. Sie rechneten also mit großzügigen, historisch-völkischen Gesichtspunkten, die
sie in den Dienst ihrer eigenen Ziele stellen wollen. Und diese Ziele führen, ob dieses auch noch
so stark abgeleugnet wird von Ententeseite aus, zur Absicht, die mitteleuropäischen Staatsgebilde
zu zermalmen.
Das Richtige ist, ganz nüchtern zu betonen, daß das Ziel der Ententeführer die Zerdrückung
Mitteleuropas ist, denn nur die Betonung dieses Zieles kann die Antwort sein auf die so wirksamen
Entente-Aussagen; aber eine Antwort, die gewissermaßen negativ ist, weil sie das widerlegen will,
was auf der Ententeseite gesagt wird, hat keinen Wert. Deshalb soll die folgende Antwort positiv
sein, das heißt auf die Tatsachen hinweisen, die von Mitteleuropa aus der Entente
gegenüberstehen.
Nur die Erkenntnis, daß dies so ist, kann Mitteleuropa (356) diejenigen Impulse bringen, welche
aus dem Chaos der Gegenwart herausführen. Die mitteleuropäischen Staatengebilde können sich
nur auf den Standpunkt stellen, das Ententeprogramm durch ihre eigenen Maßnahmen unwirksam
zu machen. Dieses Ententeprogramm beruht - ob mehr oder weniger ausgesprochen oder
unausgesprochen - auf drei Voraussetzungen:
1. daß die historisch gewordenen mitteleuropäischen Staatsgebilde nicht als diejenigen - vom
Standpunkte der Entente - anerkannt werden dürfen, welchen es obliegt, die europäischen
Völkerprobleme zu lösen;
2. daß diese mitteleuropäischen Staatsgebilde wirtschaftlich nicht in einem Konkurrenz-, sondern
in einem Abhängigkeitsverhältnisse vom Anglo-Amerikanertum stehen müssen;
3. daß die kulturellen (geistigen) Verhältnisse Mittel- und Osteuropas geordnet werden, wie es im
Sinne des Volksegoismus des Anglo-Amerikanertums ist.
Nur wer vermag zu erkennen, daß die Übersetzung dieser drei Punkte in die
Wilson-Entente-Sprache die ist, welche Wilson in seinem Sendschreiben an die Russen
angewendet hat, der durchschaut, um was es sich handelt.
Es könnte auch sein, daß wir durch die zwingende Lage der Tatsachen in der nächsten Zeit einen
Frieden erhalten.
Vielleicht, wenn England sieht, daß es sich augenblicklich nicht mehr halten kann, ohne seine
Zustimmung zur Beendigung des Krieges zu geben. Das alles ändert am Wesentlichen auf Seite
des Anglo-Amerikanismus nichts. Wenn es dieses Anglo-Amerikanertum möglich findet, den Krieg
fortzusetzen, dann wird es weiter die drei obigen Punkte in die Formel des Wilsonschen
Sendschreibens kleiden:
(357)
«Nach diesem Ziel haben wir immer hingestrebt, und knauserten wir jetzt mit Blut und Geld, so
kämen wir vielleicht nie in die Einheit und Kraft, die im Kampfe für die große Sache der
Menschheitsbefreiung notwendig sind.» Sind die führenden Mächte Englands genötigt, in der
nächsten Zeit den Krieg zu Ende kommen zu lassen, dann wird die künftige Politik, die im Sinne
der obigen drei Punkte weiter orientiert sein würde, in die Formel gebracht werden: «Wir haben für
die Menschheitsbefreiung Geld und Blut tipfern wollen, wir haben es auch in hohem Grade getan,
während die mitteleuropäischen Mächte nur auf das Entgegengesetzte bedacht waren. Wir haben
gegen die Gewalt vorläufig nur Teilweises erreichen können. Unser Ziel steht uns ungeschmälert
vor Augen, weil es das Ziel der Menschheit selber ist.»
Dem, was in diesen Absichten tatsächlich liegt, wird man nur wirklich gewachsen sein, wenn man
in Mitteleuropa praktisch nach der Erkenntnis handelt: Im Westen nennt man die Herrschaft des
Anglo-Amerikanertumes Menschheitsbefreiung und Demokratie. Und weil man das tut, erzeugt
man den Schein, als ob man auch wirklich ein Menschenbefreier sein wolle.
Wirksam gegen die Folgen dieses ungeheuerlichen Blendwerkes, gegen die Folgen eines
selbstverständlichen Rassenegoismus im Gewande einer unmöglichen Moral kann nur sein die
eigene Einstellung Mitteleuropas auf die volle Wahrheit der Tatsachen. Und diese Wahrheit ist:
1. Mit der Erreichung der Ententeziele in bezug auf die mitteleuropäischen Staatsgebilde geht die
wirkliche europäische Freiheit verloren. Denn diese Staatsgebilde können sie verwirklichen, weil
sie im Interesse dieser Staatsgebilde (358) selber liegt, und Staaten nicht anders handeln können,
als indem sie ihre Interessen im Auge haben. Der Anglo-Amerikanismus kann diese Völkerfreiheit
nicht verwirklichen, weil sie, sobald sie vorhanden ist, gegen das Interesse der
anglo-amerikanischen Staatsgebilde ist, solange dies Interesse so ist, wie es jetzt ist, und wie es
diesem Kriege mit tatsächlicher Notwendigkeit sein Gepräge gegeben hat. Die
anglo-amerikanischen Staaten müssen eben einsehen, daß sie das Interesse der
mitteleuropäischen Staaten neben sich respektieren müssen, und daß sie die Ordnung der mittel-
europäischen Völkerfreiheit den mitteleuropäischen Staaten überlassen müssen, die allein ihr
wirkliches Staatsinteresse in der Förderung dieser Freiheit sehen können.
2. Dieser Krieg ist vom mitteleuropäischen Gesichtspunkte aus nach Osten hin ein Völkerkrieg,
nach Westen - gegen England-Amerika - ein Wirtschaftskrieg. Der Revanchekrieg gegen
Frankreich ist nur durch die Verquickung der Revancheidee mit den englisch-amerikanischen Wirt-
schaftsinteressen und den russisch-slawischen Völkeridealen möglich geworden.
3. Die Völkerbefreiung ist möglich. Sie kann aber nur das Ergebnis, nicht die Grundlage der
Menschenbefreiung sein. Sind die Menschen befreit, so werden es durch sie die Völker.
Mitteleuropa kann, wenn es will, im Sinne dieser drei Grundlagen handeln. Und sein Handeln wird
ein Tatsachenprogramm sein; es wird so handeln, wenn es ein sachliches Programm der
Menschheitsbefreiung dem Entente-Wilsonschen Programme entgegenstellen wird, welches ganz
ohne alle Kenntnis der mitteleuropäischen Völkerkräfte von etwas spricht, das in der Welt der
Tatsachen nicht, sondern nur in den Aspirationen der anglo-amerikanischen Rassenegoismen
(359) vorhanden ist. Das hier für Mitteleuropa als richtig angesehene Programm ist nicht radikal in
dem Sinne, in dem man in vielen Kreisen vor dem Radikalismus zurückschreckt. Es ist vielmehr
nur ein Ausdruck für die Tatsachen, welche sich durch ihre eigene Kraft in Mitteleuropa
verwirklichen wollen. Sie sollten mit vollem Bewußtsein verwirklicht werden, nicht verborgen
gehalten werden, um im Nebel der Entente-Wilson-Ziele doch ihrer Verwirklichung durch ihre
eigene Natur entgegenzustreben und dadurch korrumpiert zu werden, und zum Anstoß und
Vorwand für kriegerische Verwickelungen zu werden.
Die rechte Verwirklichung wird nie geschehen, wenn das, was Mitteleuropa wollen muß, verdeckt
bleibt durch die unnatürliche Vermischung von politischen, wirtschaftlichen und allgemein
menschlichen Interessen.
Denn die politischen Verhältnisse fordern, wenn sie gedeihen sollen, den gesunden
Konservatismus im Sinne der Erhaltung und des Ausbaues der historisch gewordenen
Staatsgebilde. Gegen diesen Konservatismus, der für Mitteleuropa eine Lebensbedingung ist,
sträuben sich die wirtschaftlichen und allgemein-menschlichen Interessen nur so lange, als sie
durch ihre Vermischung mit ihm zu leiden haben. Und der politische Konservatismus hat, wenn er
sich auf sein wahres Interesse besinnt, nicht die geringste Veranlassung, sich durch das
Zusammenwerfen mit wirtschaftlichen und allgemein-menschlichen Interessen seine berechtigten
Kreise fortwährend stören zu lassen. Hört die Vermischung auf, dann versöhnen sich die
wirtschaftlichen und allgemein-menschlichen Verhältnisse mit dem politischen Konservatismus,
und dieser kann sich seinem eigenen Wesen gemäß ruhig entwickeln. (360)
Die wirtschaftlichen Verhältnisse fordern zu ihrem Gedeihen den Opportunismus, der ihre
Ordnung nur nach ihrem eigenen Wesen zustande bringt. Es muß zu Konflikten führen, wenn die
wirtschaftlichen Maßnahmen in einem anderen Zusammenhang mit politischen und
allgemein-menschlichen Anforderungen stehen, als bloß in einem solchen, der sich bei ihnen
zukommenden eigenen Gesetzgebungen und Verwaltungen durch den selbstverständlichen
Lebenszusammenhang ergibt. Gemeint sind hier nicht etwa bloß innerstaatliche Konflikte, sondern
vorwiegend solche, welche nach außen hin in politischen Schwierigkeiten und in kriegerischen
Explosionen sich entladen.
Die allgemein-menschlichen Verhältnisse und die mit ihnen zusammenhängenden
Völkerfreiheitsfragen fordern im Sinne der Gegenwart und Zukunft zu ihrer Grundlage die
individuelle Freiheit des Menschen. In diesem Punkte wird man nicht einmal einen Anfang mit
sachgemäßen Anschauungen machen, solange man glaubt, von einer Freiheit oder Befreiung der
Völker könne gesprochen werden, ohne daß man diese auf der individuellen Freiheit des
Einzelmenschen aufbaut, und solange man nicht einsieht, daß mit der wirklichen individuellen
Freiheit die Befreiung der Völker auch notwendig gegeben ist, weil sie als Folge der ersteren
durch einen naturgemäßen Zusammenhang sich einstellen muß. Der Mensch muß sich zu einem
Volke, zu einer Religionsgemeinschaft, zu jedem Zusammenhang, der sich aus seinen
allgemein-menschlichen Aspirationen ergibt, bekennen können, ohne daß er in diesem
Bekenntnisse von seinem politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhange durch die
Staatsstruktur abgehalten wird.
Darauf kommt es an, einzusehen, daß alle Formen der (361) Staatsstruktur als historisch
Gewordenes fähig sind, die Menschenbefreiung durchzuführen, wenn sie durch ihr eigenes
Interesse darauf gewiesen sind, was im eminenten Sinne gerade bei den mitteleuropäischen
Staaten der Fall ist. Eine parlamentarische Gestaltung dieser Staaten mag aus Gründen der
Zeitentwickelung und des Völkerempfindens heute als notwendig angesehen werden. Mit den
Fragen, die angesichts dieser Kriegswirren jetzt in die Weltöffentlichkeit geworfen werden müssen,
hat nur die charakterisierte Dreigliedrigkeit der Staatsstruktur zu schaffen. Die bloße Frage nach
dem Parlamentarismus ändert an den Verhältnissen, die in das gegenwärtige Chaos geführt
haben, nichts. Von diesem reden die westlichen Völker so viel, weil sie von den
mitteleuropäischen Verhältnissen nichts verstehen und dem Glauben sich hingeben, was für ihre
Interessen von ihnen für das richtige gehalten wird, müsse als Allerweltsschablone dienen. Für
Mitteleuropa gilt, auch wenn Parlamentarismus herrschen soll, dann ein solcher, in dem die
politischen, die wirtschaftlichen und die allgemeinmenschlichen Verhältnisse unabhängig
voneinander in Gesetzgebung und Verwaltung sich entfalten, und so sich gegenseitig stützen,
statt sich in ihren Wirkungen nach außen zu verstricken und in Konfliktsstoffen zu entladen.
Mitteleuropa befreit sich und die Welt von solchen Konfliktsstoffen, wenn es die angedeutete
gegenseitige Störung der drei menschlichen Lebensformen in seinen Staatsstrukturen
ausschließt. Keine Ententeziele und keine Wilsonschen Ziele können aufkommen gegenüber der
Kraft, die von Mitteleuropa aufgezeigt wird, wenn dieses der Welt vorstellt, was nur es allein
vermag, und was niemand anderer vollbringen kann. Die Menschheits- und damit die (362)
Völkerbefreiung wird als notwendiger Teil der mitteleuropäischen Staats- und Völkerinstinkte vor
der Welt aufgestellt, wenn sie so, wie hier angedeutet, als tatsachenverbürgender Impuls in die
Geschehnisse der Gegenwart hineingeworfen werden.
Was hier ausgeführt ist, soll nicht ein utopistisches Programm vorstellen, es soll nicht historische
Rechte und Rechtsgefüge aus der Welt schaffen. Es stellt für den, der es genau betrachtet, etwas
dar, das mit völliger Beachtung aller historischen Berechtigungen bei Anerkennung der
tatsächlichen Verhältnisse ohne irgendwelche Bedenken aus den gegenwärtigen Staatsstrukturen
herauswachsen kann. Es ist daher selbstverständlich, daß sich das hier Auszuführende alles
Eingehens auf Einzelheiten enthält. Solche Einzelheiten ergeben sich bei wirklich praktisch
gedachten Impulsen erst in der Ausführung. Nur der Utopist kann im einzelnen ausdenken, dafür
sind seine dem abstrakten Denken entsprungenen Aufstellungen auch nicht durchführbar. Was
hier gesagt wird, darf nur in allgemeinen Richtlinien auftreten. Diese Richtlinien aber sind eben
nicht erdacht, sondern an den mitteleuropäischen Lebensverhältnissen beobachtet. Das verbürgt,
daß sie sich gerade dann bewähren werden, wenn die Praxis darangeht, sie als Richtlinien zu
benützen. Wovon hier geredet wird, das ist gewissermaßen als Lebensbedürfnis schon da. Es
handelt sich nur darum, diesem Lebensbedürfnisse zu dienen. Und auch deswegen braucht über
das einzelne jetzt nicht gesprochen zu werden, weil dieses eine innere Angelegenheit der
mitteleuropäischen Staaten ist. In diesem Augenblick ist nur nötig, so viel von der Sache vor der
Welt geltend zu machen, als Bedeutung nach außen hat. Worauf es ankommt, das ist, aus (363)
dem mitteleuropäischen Leben heraus die Impulse zu zeigen, die in diesem wirklich liegen, und
dies so zu zeigen, daß die westlichen Gegner sehen, daß sie bei einer weiteren Fortsetzung des
Krieges sich diesen unverwüstlichen Impulsen gegenübergestellt finden müssen. Es wird dadurch
den Ententeführern etwas entgegengestellt, nicht bloß entgegengehalten, was ihnen bis jetzt nicht
entgegengestellt worden ist, und was sie durch kein Kriegsprogramm von ihrer Seite bezwingen
können. Eine solche vor der Welt geführte Sprache, wie sie hier gemeint ist, die den Keim der
Tatsachen in sich trägt, muß Folgen haben. Die Ausgleichung mit Rußland braucht im
gegenwärtigen Augenblick für das hier angegebene nicht gesucht zu werden, denn diese
Ausgleichung muß sich im Verfolge der Sache von selbst ergeben. Und die Einsicht, daß ein
solches Ergebnis eintreten muß, wird bei den russischen Führern Impulse zeitigen, die nur
günstige Erfolge haben können. Immer muß bei alledem in Betracht gezogen werden, was das
Angedeutete nicht zunächst als innere Staatsangelegenheit bedeutet, sondern was es bedeutet
als Manifestation nach außen hin innerhalb des gegenwärtigen Weltkonfliktes zu seiner
Beendigung, namentlich im politischen Kampfe mit den Manifestationen der Ententeführer und
Wilsons. Das Innere kommt in diesem Falle in einem ähnlichen Sinne in Betracht, wie die
Tatenwirkungen des Denkens eines Menschen für andere Menschen eine Realität sind, trotzdem
die Art, wie er denkt, nur eine innere Angelegenheit seiner Organisation ist. Er hat aber nur nötig,
über die Wirkung seines Denkens mit anderen sich auseinanderzusetzen, nicht über die
Verfassung seines Inneren.
In Gesetzgebung, Verwaltung und sozialer Struktur die (364) Trennung des Politischen,
Wirtschaftlichen und Allgemein-Menschlichen als Ziel des mitteleuropäischen Strebens
anerkennen und annehmen, das paralysiert die Kräfte der Westmächte. Das zwingt sie, neben
den europäischen Mittelmächten und den mit den letzteren unter solchen Bedingungen
zusammengehenden Ostmächten sich in ein Verhältnis zu denken, in dem die Westmächte sich
darauf beschränken, sich im Gebiete ihrer Volksinstinkte die ihnen angemessene Struktur zu
geben (als staatliche Gebilde), und die mittel- und osteuropäischen Völker ihre Gemeinsamkeiten
im Sinne wirklicher Menschenbefreiung auch innerhalb des ihnen zukommenden naturgemäßen
Raumes ohne Störung, wie sie als Ursache dieses Krieges vorhanden war, sich ausleben zu
lassen, während sie jetzt allein ihren Willen glauben als das im Weltkonflikte maßgebende
hinstellen zu können.
Es kommt alles darauf an, einzusehen, wie anders sich die Verhältnisse zwischen Staaten und
Völkern und auch Einzelmenschen abspielen, wenn diesen Verhältnissen zugrunde liegt diejenige
Wirkung nach außen, die aus der Trennung der drei Lebensfaktoren folgt, als wenn in diese
Außenwirkung verstrickt sind die Konflikte, die sich aus ihrer Vermischung ergeben. Man wird in
Zukunft die Vorgeschichte dieses Krieges nämlich so schreiben, daß man geradezu zeigen wird,
wie derselbe durch die unglückselige gegenseitige Störung der drei Lebenskreise im
Völkerverkehre entstanden ist.
Bei ihrer Trennung wirkt nach außen hin die Kraft des einen Lebenskreises im Sinne der
Harmonisierung auf die anderen; insbesondere gleichen die wirtschaftlichen Interessenkräfte
Konflikte aus, die auf politischem Boden entstehen, und die allgemein-menschlichen
Interessenkreise (365) können. ihre völkerverbindende Kraft entfalten, während gerade diese Kraft
in völlige Unwirksamkeit getrieben wird, wenn sie nach außen belastet mit den politischen und
wirtschaftlichen Konflikten auftreten muß. aber nichts hat man sich in der jüngsten Zeit größeren
Täuschungen hingegeben als über den letzten Punkt. Man sah nicht, daß allgemeinmenschliche
Verhältnisse nach außen ihre wahre Kraft nur entfalten können, wenn sie im Innern auf der
Grundlage der freien Korporation aufgebaut sind. Sie wirken dann im Zusammenhange mit den
wirtschaftlichen Interessen so, daß im Verfolg dieser Wirkungen dasjenige sich im lebendigen
Werden naturgemäß entwickelt, dem man durch die Schaffung von utopistischen, überstaatlichen
Organisationen ein zweifelhaftes Zukunftsdasein geben will: Utopistische Schiedsgerichte, ein
Wilsonscher «Völkerbund» und so weiter, die zu nichts anderem führen können, als zu der
fortdauernden Majorisierung Mitteleuropas durch die anderen Staaten. Solche Dinge leiden an
dem Fehler, unter dem alles leidet, was aus Wunschabstraktionen den Tatsachen aufgedrängt
wird, während man mit dem hier Gemeinten einer Entwickelung freie Bahn schafft, die aus den
Tatsachen selbst heraus nach ihrer Verwirklichung strebt, und die daher sich auch verwirklichen
kann.
Das Folgende wie im ersten Memorandum S. 344 «Erkennt man dieses . . .»bis S. 350
«erscheinen muß.»
Erkennt man dieses, dann wird vor allem klar, warum wir diesen Krieg haben und warum er unter
der falschen Flagge der Völkerbefreiung ein Krieg ist zur Unterdrückung des deutschen Volkes, im
weiteren Sinne zur Unterdrückung alles selbständigen Volkslebens in Mitteleuropa. Entkleidet man
das Wilsonsche Programm, das als die neueste Umschreibung aus den Deckprogrammen der
Entente hervorgegangen ist, so kommt man darauf, daß seine Ausführung nichts anderes
bedeuten würde als den Untergang dieser mitteleuropäischen Freiheit. Daran hindert nicht, daß
Wilson von der Freiheit der Völker redet; denn die Welt richtet sich nicht nach Worten, sondern
nach Tatsachen, die aus der Verwirklichung dieser Worte folgen. Mitteleuropa braucht wirkliche
Freiheit, Wilson aber redet gar nicht von einer wirklichen Freiheit. Die ganze westliche Welt hat
von dieser wirklichen für Mitteleuropa nötigen Freiheit überhaupt keinen Begriff. Man redet da von
Völkerfreiheit und meint dabei nicht die wirkliche Freiheit der Menschen, sondern (344) eine
schimärische Kollektivfreiheit von Menschenzusammenhängen, wie sie sich in den
westeuropäischen Staaten und in Amerika herausgebildet haben. Nach den besonderen
Verhältnissen Mitteleuropas kann sich diese Kollektivfreiheit nicht aus internationalen
Verhältnissen heraus ergeben, also darf sie nie und nimmer Gegenstand einer internationalen
Abmachung sein, wie sie einem Friedensschlusse zugrunde liegen kann. In Mitteleuropa muß die
Kollektivfreiheit der Völker aus der allgemeinen menschlichen Freiheit sich ergeben, und sie wird
sich ergeben, wenn man durch Ablösung aller nicht zum rein politischen, militärischen und
wirtschaftlichen Leben gehörigen Lebenskreise dafür freie Bahn schaff. Es ist ganz
selbstverständlich, daß gegen solche Loslösung diejenigen, welche stets nur mit ihren Ideen, nicht
mit der Wirklichkeit rechnen, solche Einwände erheben, wie man sie in einem eben erschienenen
Buche findet, nämlich in Kriecks «Die deutsche Staatsidee» auf Seite 167 f.: «Gelegentlich wurde
früher, unter anderen von E. von Hartmann, die Forderung nach einem Wirtschaftsparlamente
neben der Volksvertretung erhoben. Der Gedanke liegt ganz in der Richtung der wirtschaftlichen
und gesellschaftlichen Entwickelung. Abgesehen aber davon, daß ein neues großes Rad die
ohnehin reichliche Unbeholfenheit und Reibung der Maschine vermehren würde, wäre die
Zuständigkeit zweier Parlamente unmöglich gegeneinander abzugrenzen.»
Bei diesem Gedanken sollte nun doch wohl darauf gesehen werden, daß hier zugegeben werden
muß, er ergibt sich aus den wirklichen Verhältnissen der Entwickelung, muß also durchgeführt
werden und darf nicht gegen die Entwickelung abgewiesen werden, weil man seine Verwirklichung
schwer findet. Macht man nämlich in der Wirklichkeit (345) vor solchen Schwierigkeiten halt, so
schafft man Verwickelungen, die sich später gewaltsam entladen. Und letzten Endes ist dieser
Krieg in der Eigentümlichkeit, in der er sich auslebt, die Entladung von Schwierigkeiten, die man
versäumt hat, auf dem richtigen, anderen Wege hinwegzuräumen, solange es dazu noch Zeit war.
Das Wilsonsche Programm geht davon aus, das in der Welt unmöglich zu machen, was die
berechtigte Aufgabe und die Lebensbedingung der mitteleuropäischen Staaten ist. Ihm muß
entgegengehalten werden, was in Mitteleuropa geschehen wird, wenn dieses Geschehen nicht
gestört wird durch die gewaltsame Zerstörung des mitteleuropäischen Lebens. Es muß ihm
gezeigt werden, was nur Mitteleuropa auf Grund des hier historisch Gewordenen tun kann, wenn
es sich nicht mit der Entente verbindet, die gar kein Interesse daran haben kann, Mitteleuropa
seiner naturgemäßen Entwickelung entgegenzuführen.
So wie die Dinge heute liegen, haben Deutschland und Österreich nur die Wahl zwischen den
folgenden drei Dingen:
1. Unter allen Umständen auf einen Sieg ihrer Waffen zu warten, und von ihm die Möglichkeit zu
erhoffen, ihre mitteleuropäische Aufgabe ausführen zu können.
2. Mit der Entente auf Grund deren jetzigen Programms einen Frieden einzugehen und damit ihrer
sicheren Zerstörung entgegenzugehen.
3. Zu sagen, was sie im Sinne der wirklichen Verhältnisse als das Ergebnis eines Friedens
betrachten werden, und damit die Welt vor die Möglichkeit zu stellen, nach klarer Einsicht in die
Verhältnisse und in das Wollen Mitteleuropas die Völker wählen zu lassen zwischen einem
Tatsachenprogramm (346), das den europäischen Menschen die wirkliche Freiheit und damit ganz
selbstverständlich die Freiheit der Völker bringt, oder den Scheinprogrammen des Westens und
Amerikas, die von Freiheit reden, in Wirklichkeit aber für ganz Europa die Unmöglichkeit des
Lebens bringen. Wir in Mitteleuropa machen vorläufig den Eindruck, als ob wir uns vor dem
Westen scheuten zu sagen, was wir wollen müssen, während dieser Westen uns nur so über-
schüttet mit den Kundgebungen seines Wollens. Dadurch ruft dieser Westen den Eindruck hervor,
daß nur er etwas will für das Heil der Menschheit, und wir nur bestrebt seien, diese löblichen
Bestrebungen durch allerlei solche Dinge wie Militarismus zu stören, während er dadurch, daß er
sich seit langem darauf eingerichtet hat und weiter darauf noch besser einrichten will, uns zu
Schattenmenschen zu machen, in Wahrheit der Schöpfer unseres Militarismus ist. Gewiß sind
solche und ähnliche Dinge oft gesagt worden, doch darauf kommt es nicht an, daß sie von dem
oder jenem gesagt werden, sondern darauf, daß sie das Leitmotiv mitteleuropäischen Handelns
wirklich werden, und die Welt erkennen lernt, daß sie von Mitteleuropa kein anderes Handeln zu
erwarten hat als ein solches, das zum Schwerte greifen muß, wenn die anderen ihm dieses
Schwert in die Hände zwingen. Was jetzt die Westvölker deutschen Militarismus nennen, haben
sie in jahrhundertelanger Entwickelung geschmiedet, und nur an ihnen, nicht an Deutschland kann
es sein, ihm für Mitteleuropa seinen Sinn zu nehmen. An Mitteleuropa aber ist es, sein Wollen für
die Freiheit klar hinzustellen, ein Wollen, das nicht in Wilsonscher Art auf Programme gebaut sein
kann, sondern auf die Wirklichkeit des Menschendaseins.
(347)
Es gibt daher für Mitteleuropa nur ein Friedensprogramm, und das ist: Die Welt wissen zu lassen,
ein Friede ist sofort möglich, wenn die Entente an die Stelle ihres jetzigen, unwahren
Friedensprogramms ein solches setzt, das wahr ist, weil es in seiner Verwirklichung nicht den
Untergang, sondern die Lebensmöglichkeit Mitteleuropas herbeiführt. Alle anderen Fragen, die
Gegenstand von Friedensbestrebungen werden können, lösen sich, wenn sie auf Grundlage
dieser Voraussetzungen in Angriff genommen werden. Auf der Grundlage, die jetzt von der
Entente uns dargeboten wird, und die von Wilson aufgenommen worden ist, ist ein Friede
unmöglich. Tritt kein anderes an die Stelle, so könnte das deutsche Volk nur durch Gewalt zur
Annahme dieses Programmes gebracht werden, und der weitere Verlauf der europäischen
Geschichte würde die Richtigkeit des hier Gesagten beweisen, denn bei Verwirklichung des
Wilsonschen Programmes gehen die europäischen Völker zugrunde. Man muß eben in
Mitteleuropa ohne Illusion dem ins Auge schauen, was diejenigen Persönlichkeiten seit vielen
Jahren als ihren Glauben haben, den sie von ihrem Gesichtspunkte aus als das Gesetz der
Weltentwickelung betrachten: daß der angloamerikanischen Rasse die Zukunft der
Weltentwickelung gehört, und daß sie das Erbe der lateinisch-romanischen Rasse und die
Erziehung des Russentums zu übernehmen hat. Bei der Anführung dieser weltpolitischen Formel
durch einen sich eingeweiht dünkenden Engländer oder Amerikaner wird stets bemerklich
gemacht, daß das deutsche Element bei der Ordnung der Welt nicht mitzusprechen hat wegen
seiner Unbedeutendheit in weltpolitischen Dingen, daß das romanische Element nicht
berücksichtigt zu werden braucht, weil (348) es ohnedies im Aussterben ist, und daß das
russische Element derjenige hat, der sich zu seinem welthistorischen Erzieher macht. Man könnte
von einem solchen Glaubensbekenntnis gering denken, wenn es im Kopfe einiger für politische
Phantasien oder Utopien zugänglicher Menschen lebte, allein die englische Politik benützt
unzählige Wege, um dieses Programm praktisch zum Inhalte seiner wirklichen Weltpolitik zu
machen, und vom Gesichtspunkte Englands aus könnte die gegenwärtige Koalition, in der es sich
befindet, nicht günstiger sein, als sie ist, wenn es sich um die Verwirklichung dieses Programmes
handelt. Es gibt aber nichts, das Mitteleuropa dem entgegensetzen kann, als ein wirklich
menschenbefreiendes Programm, das in jedem Augenblick Tat werden kann, wenn menschlicher
Wille sich für seine Verwirklichung einsetzt. Man kann ja vielleicht denken, daß der Friede auch
lange auf sich warten lassen wird, auch wenn das hier gemeinte Programm vor die europäischen
Völker hingestellt wird, da es ja während des Krieges nicht ausgeführt werden kann und überdies
von den Ententevölkern so hingestellt werden würde, als ob es von den Führern Mitteleuropas nur
zur Täuschung der Völker hingestellt wäre, während nach dem Kriege einfach wieder das
eintreten würde, was die Ententeführer als das Schreckliche hinstellen, das sie aus moralischen
Gründen in einem «Kampfe für Freiheit und Recht der Völker aus der Welt schaffen müßten».
Aber wer die Welt richtig beurteilt nach den Tatsachen, nicht nach seinen Lieblingsmeinungen, der
kann wissen, daß alles, was Wirklichkeiten entspricht, einen ganz anderen Überzeugungswert hat
als dasjenige, was aus der bloßen Willkür stammt. Und man kann ruhig abwarten, was sich bei
denjenigen zeigen wird, die einsehen (349) werden, mit dem Programme Mitteleuropas gehen den
Völkern der Entente nur die Möglichkeiten verloren, Mitteleuropa zu zertrümmern, nicht aber fließt
aus ihm irgend etwas, was mit irgendeinem wirklichen Lebensimpuls der Ententevölker
unverträglich wäre. Solange man sich im Gebiete der maskierten Bestrebungen befindet, wird eine
Verständigung ausgeschlossen sein; sobald man hinter den Masken die Wirklichkeiten nicht nur
militärisch, sondern auch politisch zeigen wird, wird eine ganz andere Gestalt der gegenwärtigen
Ereignisse beginnen. Die Waffen Mitteleuropas hat die Welt zum Heile dieses Mitteleuropa
kennen gelernt, das politische Wollen ist, soweit Mitteleuropa in Betracht kommt, der Welt ein
Buch mit sieben Siegeln. Dafür bekommt die Welt jeden Tag die Schilderung eines Schreckbildes,
welch ein furchtbares, zerstörungswürdiges Ding dieses Mitteleuropa eigentlich ist. Und es sieht
für die Welt so aus, als ob Mitteleuropa zu diesem Schreckbilde nur zu schweigen hätte, was
selbstverständlich der Welt wie ein Ja-Sagen zu demselben erscheinen muß.
Schluß des 2. Memorandums:
Es ist ganz selbstverständlich, daß vielen gegen das hier Vorgebrachte unzählige Bedenken
aufsteigen werden. Allein solche Bedenken kämen nur in Betracht, wenn das Vorliegende als ein
Programm gedacht wäre, an dessen Verwirklichung ein einzelner oder eine Gesellschaft gehen
sollte. (366) So ist es aber nicht gedacht, ja, es widerlegt sich selber, wenn es so gedacht wäre.
Es ist als der Ausdruck dessen gedacht, was die Völker Mitteleuropas tun werden, wenn man sich
von seiten der Regierungen die Aufgabe stellen wird, die Volkskräfte zu erkennen und zu
entbinden. Was im einzelnen geschehen wird, das zeigt sich bei solchen Dingen immer dann,
wenn sie sich auf den Weg der Verwirklichung begeben. Denn sie sind nicht Vorschriften über
etwas, was zu geschehen hat, sondern Voraussagen dessen, was geschehen wird, wenn man die
Dinge auf ihre durch die eigene Wirklichkeit geforderte Bahn gehen läßt. Und diese eigene
Wirklichkeit schreibt vor bezüglich aller religiösen und geistig-kulturellen Angelegenheiten, wozu
auch das Nationale gehört: Verwaltung durch Korporationen, zu denen sich die einzelne Person
aus freiem Willen bekennt und die in ihrem Parlamente als Korporationen verwaltet werden, so
daß dieses Parlament es nur mit der betreffenden Korporation, nie aber mit der Beziehung dieser
Korporation zu der einzelnen Person zu tun hat. Und nie darf es eine Korporation mit einer unter
demselben Gesichtspunkt zu einer anderen Korporation gehörigen Person zu tun haben. Solche
Korporationen werden aufgenommen in den Kreis des Parlamentes, wenn sie eine bestimmte
Anzahl von Personen vereinigen. Bis dahin bleiben sie Privatsache, in die sich keine Behörde
oder Vertretung zu mischen hat. Für wen es ein saurer Apfel ist, daß von solchen
Gesichtspunkten aus alle geistigen Kulturangelegenheiten künftig der Privilegierung entbehren
müssen, der wird eben in diesen sauren Apfel zum Heile des Volksdaseins beißen müssen. Bei
der immer weitergehenden Gewöhnung an diese Privilegierung wird man ja in weiten (367)
Kreisen schwer einsehen, daß man auf dem Wege von der Privilegierung gerade der geistigen
Berufe zum guten alten, uralten Prinzip der freien Korporierung zurückkehren muß, und daß die
Korporation zwar einen Menschen in seinem Berufe tüchtig machen soll, aber daß man die
Ausübung dieses Berufes nicht privilegieren, sondern der freien Konkurrenz und der freien
menschlichen Wahl überlassen muß, das wird von allen denen schwer einzusehen sein, die gerne
davon sprechen, daß die Menschen doch zu dem oder jenem nicht reif seien. In der Wirklichkeit
wird dieser Einwand ja ohnedies nicht in Betracht kommen, weil mit Ausnahme der notwendig
freien Berufe über die Wahl der Petenten die Korporationen entscheiden werden.
Ebensowenig können sich Schwierigkeiten ergeben bezüglich des Politischen und des
Wirtschaftlichen, die nicht real behebbar wären bei der Verwirklichung des Intendierten. Wie zum
Beispiel pädagogische Institutionen zustande kommen müssen, die in ihren Richtlinien die beiden
nicht die eigentliche Pädagogik in sich schließenden Vertretungen berühren, das ist eine Sache
des übergeordneten Senates.
Alle einzelnen Einrichtungen, wie sie hier gedacht sind, lassen sich erreichen durch Ausbau der
historisch gegebenen Faktoren, die in keinem Lande Mitteleuropas etwa beseitigt oder durch
andere radikal ersetzt zu werden brauchen. In dem Bestehenden können überall die Punkte
gefunden werden, welche, in der angedeuteten Richtung verfolgt, die Völkerbefreiung auf Grund
der Menschenbefreiung ergeben. Hier zu «beweisen», daß das Gesagte «richtig» ist, wäre
widersinnig; denn diese Richtigkeit muß sich ergeben aus der Tatsache der Verwirklichung. Die
nächste Verwirklichung (368) wäre das Sich-Bekennen zu diesen Impulsen an autoritativer Stelle.
Darüber, daß schon dieses offene Bekenntnis eine ungeheuere, für die mitteleuropäischen
Staaten günstige Wirkung haben muß, braucht niemand bange zu sein. Man kann vielmehr ruhig
abwarten, was die Entente-Führer tun (nicht sagen) werden, wenn ihnen dieses offene Bekenntnis
entgegensteht. Mit ihm müssen sie anders rechnen, als sie mit allem gerechnet haben, was bisher
von Mitteleuropa ausging. Bisher brauchten sie bloß mit dem Waffen-Erfolge Mitteleuropas zu
rechnen; sie sollen auch rechnen mit dessen politischem Wollen.
Wer das hier Angedeutete in wirklich praktischem Sinne denkt, das heißt im Einklang mit den
tatsächlichen Verhältnissen, der wird finden können, daß damit eine Grundlage geschaffen ist, auf
der auch so komplizierte Fragen wie die der österreichischen Sprachenfrage - einschließlich der
Staats- und Verkehrssprache - und der deutschen Kolonialfragen ruhen können. Denn mit dem
hier Gedachten wird der Fehler vermieden, den man bisher immer gemacht hat, nämlich daß man
an eine Lösung solcher Fragen dachte, ehe man die Tatsachen-Grundlagen geschaffen hatte, auf
denen sich eine Lösung erst aufbauen läßt. Man ging bisher stets darauf aus, ein erstes
Hausstockwerk aufzubauen, ohne an das Erdgeschoß zu denken. Dieses Erdgeschoß aber ist für
die mitteleuropäischen Staaten die Anerkennung ihrer naturgemäß notwendigen Struktur in
konservativ-historisch-politische Vertretung und Verwaltung, abgetrennt von der Organisation des
opportunistisch-wirtschaftlichen und des geistig-kulturellen Elementes. Steht man auf diesem
Boden fest, dann erst kann auf dieser Grundlage von Parlamentarismus, Demokratismus und
ähnlichem gesprochen werden. (369) Denn diese Dinge werden an sich nicht anders, ob sie der
Ausdruck einer in Mitteleuropa für die Dauer unmöglichen Verquickung der politischen,
wirtschaftlichen und geistig-kulturellen Elemente sind, oder derjenige der naturgemäßen
Gliederung dieser Elemente. - Gerade an der Wirkung, die ein in diesem Sinne gehaltenes offenes
Bekenntnis auf die Führer der Entente hervorbringen würde, könnte man bei Eintritt dieser
Wirkung sehen, wie man mit diesem Bekenntnis auf dem realen Boden der Tatsachen steht.
Die Ausführbarkeit des in dieser Darstellung Gegebenen wird niemand bezweifeln, der aus den
wirklichen Verhältnissen Mitteleuropas heraus denkt. Denn hier wird nichts «als Programm»
gefordert, sondern es ist nur aufgezeigt, was sich durchführen will, und was in demselben
Augenblicke gelingt, in dem man ihm freie Bahn gibt.
Träte an die Stelle der Entente-Wilsonschen Friedensformel dasjenige, was ohne Maske das
Wesen dieser Formel ist, so käme das folgende heraus: «Wir Anglo-Amerikaner wollen, daß die
Welt werde, wie wir sie wünschen. In diesen Wunsch hat sich Mitteleuropa zu fügen.» Diese
unmaskierte Friedensformel zeigt, daß Mitteleuropa in den Krieg getrieben werden mußte. Siegte
die Entente, so wäre Mitteleuropas Entwickelung ausgelöscht. Fügt Mitteleuropa zu der
Unbesieglichkeit seiner Waffen als Friedensangebot gegenüber der Welt die unbedingteste
Absicht, zu verwirklichen, was nur Mitteleuropa in Europa verwirklichen kann, die Völkerbefreiung
durch die Menschenbefreiung, dann kann dieses Mitteleuropa dem Gerede von «dem Rechte und
der Freiheit der Völker» das tatsächliche, wahre Wort entgegensetzen: «Wir kämpfen für unser
Recht und unsere (370) Freiheit und die Verwirklichung dieser Menschheitsgüter, die wir uns nicht
nehmen lassen können und wollen, beeinträchtigt durch ihr eigenes Wesen kein wirkliches Recht
und keine Freiheit eines andern. Denn was wir wollen werden, wird die Bürgschaft davon in sich
selbst tragen. Könnt ihr Westvölker euch mit uns auf dieser Grundlage verständigen und seht ihr
Ostvölker ein, daß wir nichts anderes wollen als ihr selbst, wenn ihr euch erst redet selbst
versteht, dann ist morgen der Friede möglich.
Zweites Memorandum, erste Fassung vom 22. Juli 1917
Der Anfang stimmt mit der vorstehend abgedruckten zweiten Fassung überein, nur treten die
Abschnitte Absatz 2 auf Seite 353 und Absatz 2 auf Seite 356 erst in der zweiten Fassung auf.
Der Schluß der ersten Fassung lautet:
Mitteleuropa kann, wenn es will, im Sinne dieser drei Grundlagen handeln, und sein Handeln wird
ein Tatsachenprogramm sein. Es wird so handeln, wenn es ein sachliches Programm der
Menschheitsbefreiung dem Entente-Wilsonschen Blendprogramme entgegenstellt. Ein solches
Programm ist nicht radikal in dem Sinne, in dem man in gewissen Kreisen vor jedem Radikalismus
erschrickt. Es ist vielmehr nur ein Ausdruck für die Tatsachen, welche sich durch ihre eigene Kraft
in Mitteleuropa verwirklichen wollen. Sie sollten mit vollem Bewußtsein verwirklicht werden, nicht
verborgen gehalten werden, um im Nebel der Entente-Wilson-Ziele doch ihrer Verwirklichung
durch ihre eigene Natur entgegenzustreben und dadurch korrumpiert zu werden.
Die Verwirklichung wird nie geschehen, wenn das, was (37I) Mitteleuropa wollen muß, verdeckt
bleibt, durch die unnatürliche Vermischung von politischen, wirtschaftlichen und allgemeinen
Menschheitsinteressen.
Denn die politischen Verhältnisse fordern, wenn sie gedeihen sollen, den Konservatismus im
Sinne der Erhaltung und des Aufbaues der historisch gewordenen Staatsgebilde. Gegen diesen
Konservatismus sträuben sich die wirtschaftlichen und die allgemeinen Menschheitsinteressen nur
so lange, als sie von ihm zu leiden haben. Hört dieses Leiden auf, dann versöhnen sie sich mit
ihm, weil sie seine Notwendigkeit einsehen lernen.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse fordern zu ihrem Gedeihen den Opportunismus, der ihre
Ordnung nur nach ihrem eigenen Wesen zustande bringt. Es muß zu Konflikten führen, wenn die
wirtschaftlichen Maßnahmen im Zusammenhang stehen mit politischen oder allgemein-mensch-
lichen Anforderungen und dieser Zusammenhang ein solcher ist, der die wirtschaftliche
Entwickelung durchkreuzt.
Die allgemein-menschlichen und die Verhältnisse der Völker fordern im Sinne der Gegenwart und
der Zukunft die individuelle Freiheit des Menschen. Der Mensch muß sich zu einem Volke, zu
einer Religionsgemeinschaft, zu einem anderen Zusammenhange, der mit seinen
allgemeinmenschlichen Aspirationen zusammenhängt, bekennen können, ohne daß er in diesem
Bekenntnis von seinem politischen oder wirtschaftlichen Zusammenhange durch die Staats-
struktur abgehalten wird.
Darauf kommt es an, einzusehen, daß alle Formen der Staatsstruktur als historisch Gewordenes
fähig sind, die Menschheitsbefreiung durchzuführen, wenn sie durch ihr eigenes Interesse darauf
angewiesen sind, nicht bloß dem (372) Rassenegoismus zu dienen. Eine parlamentarische Vertre-
tung eines Volkes mag aus Gründen der Zeitentwickelung wünschenswert sein, sie ändert an den
Verhältnissen, die in das gegenwärtige Chaos geführt haben, nichts, wenn in diesem Parlamente
die politischen, die wirtschaftlichen und die allgemein-menschlichen Verhältnisse sich fortwährend
stören. Und Mitteleuropa strebt seinem Wesen nach dahin, solche Störung auszuschließen. Keine
Entente, keine Wilsonschen Ziele können aufkommen gegenüber der Kraft, die in der
Verwirklichung der europäischen Freiheitsinstinkte durch Mitteleuropa liegt. Denn diese
Freiheitsinstinkte sind der Keim der europäischen Völkerfreiheiten, nicht die Wilsonschen Ideen.
Die Gesetzgebung, Verwaltung und soziale Struktur, die Trennung des Politischen,
Wirtschaftlichen, Allgemein-Menschlichen als Ziel des mitteleuropäischen Strebens anerkennen
und annehmen, das paralysiert die Westmächtekräfte, das zwingt sie, neben den europäischen
Mittelmächten, in deren Verein mit Osteuropa zu einem Frieden sich zu bekennen, der diese
Westmächte sich darauf beschränken läßt, im Gebiete ihrer Volksinstinkte sich die soziale Struktur
zu suchen, die ihnen angemessen ist, und die Mittel- und Osteuropäer, ihre
Völkergemeinsamkeiten sich im Sinne wirklicher Menschheitsbefreiung auch innerhalb des ihnen
historisch gewordenen Raumes ausleben zu lassen.
Der Parlamentarismus, der für Mitteleuropa nötig ist, wird sich ergeben, wenn man nicht mehr ihn
als das erste ansieht, sondern als die Folge, wie sie herauskommen muß, wenn man als erstes
anerkennt die Trennung in das Politisch-Militärische, das sich sein Verhältnis zu anderen Staaten
nach seinem Wesen ebenso ordnet, wie die Anforderungen (373) der inneren Volksstruktur - in
das Wirtschaftliche, das nach seiner eigenen Natur opportunistisch geordnet wird, das heißt in
diesem Sinne gesetzgeberisch vertreten und verwaltet wird -, und in das Allgemein-Menschliche,
das auf die Korporationen aufgebaut ist, zu denen sich der Mensch im Sinne seiner eigenen freien
Empfindung bekennt.
Der abstrakte Völkerbund mit seinen utopistischen Schiedsgerichten könnte zu nichts anderem
führen, als zu der fortdauernden Majorisierung Mitteleuropas durch die anderen Staaten. Die
Ordnung der Verhältnisse in Mitteleuropa im Sinne der Kräftetrennung führt zu dem fortdauernden
Ausgleich der in den Völkern verankerten Menschheitsinteressen. Mit dem Wilsonschen
Völkerbunde schafft man Einrichtungen, welche unter dem Unheile leiden müssen, unter dem
stets gelitten wird, wenn menschliche Wunschabstraktionen den Tatsachen aufgedrängt werden;
mit demjenigen, wonach die ganze Wesenheit der mittel- und osteuropäischen Völker drängt,
schafft man nicht solche Institutionen, sondern man befreit damit dasjenige, was befreit im Sinne
der friedlichen Entwickelung, unbefreit zu kriegerischen Konflikten führen muß. Einen künftigen
Zustand der Menschheit kann man nicht durch Einrichtungen schaffen, wie Wilson und die
Entente wollen, sondern er wird entstehen, wenn man den Tatsachen ihre Freiheit gibt, durch die
er entstehen kann.
Träte an die Stelle der Entente-Wilsonschen-Friedensformel, was ohne Maske das Wesen dieser
Formel ist, so käme das folgende heraus:
«Wir Anglo-Amerikaner wollen, daß die Welt werde, wie wir sie wünschen; in diesen Wunsch hat
sich Mitteleuropa zu fügen.» - Diese unmaskierte Friedensformel (374) zeigt, daß Mitteleuropa in
den Krieg getrieben werden mußte. Siegte die Entente, so wäre Mitteleuropas Entwickelung
ausgelöscht.
Fügt Mitteleuropa zur Unbesiegbarkeit seiner Waffen als Friedensangebot gegenüber der Welt die
unbedingteste Absicht, zu verwirklichen, was nur Mitteleuropa in Europa verwirklichen kann, die
Völkerbefreiung durch die Menschenbefreiung, dann kann dieses Mitteleuropa dem Gerede von
«dem Rechte und der Freiheit der Völker» das tatsächliche wahre Wort entgegensetzen:
«Wir kämpfen für unser Recht und unsere Freiheit. Und die Verwirklichung dieser
Menschheitsgüter, die wir uns nicht nehmen lassen können und wollen, beeinträchtigt durch ihr
eigenes Wesen kein wirkliches Recht und keine Freiheit des anderen; denn, was wir wollen
werden, wird die Bürgschaft dafür in sich selbst tragen. Könnt ihr Westvölker euch auf dieser
Grundlage mit uns verständigen und seht ihr Ostvölker ein, daß wir nichts anderes wollen als ihr
selbst, wenn ihr euch erst recht selbst versteht -, dann ist morgen der Friede möglich.»
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